Verlobt für eine Nacht
„Die meisten Frauen, die so heißen, kürzen ihn ja ab und nennen sich Eve.“ Und Evelyn hatte geantwortet, auch sie werde von vielen Eve genannt. Dieses kurze Gespräch hatte irgendetwas in Leos Erinnerung wieder wachgerufen, doch er hatte es nicht ganz greifen können. Aber dann hatte Eve über ihre Zeit in Sydney gesprochen, und ihm war klar geworden, dass dies kein Zufall sein konnte. Alles war ihm wieder eingefallen.
Leo dachte an jenen Tag, der schon so lange zurücklag. Frühmorgens war er zu einem dringenden Gespräch nach Sydney geflogen, um einen Geschäftsabschluss vor dem Scheitern zu bewahren. Er erinnerte sich an ein großes Büro, durch dessen Glaswand man auf den Sydney Harbour, die Sydney Bridge und das Opernhaus blickte. Doch diesen atemberaubenden Anblick vergaß er schnell, als sein Blick auf die Frau am anderen Ende des Zimmers fiel. Sie hatte von der Sonne aufgehelltes Haar und eine goldfarbene Bräune, und ihre unglaublichen Augen wirkten tiefer und viel verlockender als der berühmte Hafen.
Trotz endloser Besprechungen und Jetlag verdichtete sich eine glasklare Gewissheit in Leo: Er wollte sie.
„Eve“, sagte sie atemlos, als er sich ihr in einer Pause in den Weg stellte und sie nach ihrem Namen fragte. Eve mit dem sinnlichen Mund, den faszinierenden Augen und einem Körper, der für leidenschaftliche Liebesstunden wie geschaffen war – und auch nur allzu bereit dafür, wie Leo in jenem Archivraum feststellte.
Wie hatte er geflucht, als er früher als geplant nach Santiago gemusst und damit die Chance verpasst hatte, Eve die Kleidungsstücke eins nach dem anderen abzustreifen. Fast wäre er nach Abschluss seiner Geschäfte in Chile noch einmal zurückgekehrt, doch da hatte schon der nächste dringende Termin angestanden. Und dann hatte es weitere Geschäftsabschlüsse in anderen Ländern gegeben, andere Frauen, und Eve war unter „Frauen, die mir entgangen sind“ einsortiert worden.
Doch wie sich nun herausgestellt hatte, war das ein Irrtum gewesen: Eve hatte mehrere Jahre genau vor seiner Nase seine Mails beantwortet, seine Unterlagen verwaltet und Termine für ihn organisiert, ohne auch nur ein einziges Mal durchblicken zu lassen, dass sie sich kannten und einander schon begegnet waren. Warum, um alles in der Welt, hatte sie das getan?
Leo legte seiner vermeintlichen Verlobten erneut die Hand auf den Rücken und ließ die Unterhaltung an sich vorbeiplätschern. Es ging um eine Insel in den Whitsundays, die den Culshaws gehörte. Er strich Eve mit den Fingerspitzen über die seidenweiche Haut und betrachtete gleichzeitig ihr Profil – den feinen Schwung ihrer Wangen und die Augen, die er eigentlich hätte wiedererkennen müssen. Sie hatte sich ein wenig verändert. Ihr Haar war nicht mehr blond gesträhnt, sondern eher karamellfarben, und sie war nicht mehr ganz so gertenschlank. Es waren nur leichte Veränderungen, die ihr noch dazu sehr gut standen. Kein Wunder, dass sie ihm bekannt vorgekommen war.
Als alle aufstanden, um ins Esszimmer zu gehen, warf Eve ihm einen kurzen Blick zu. Sie runzelte ganz leicht die Stirn, als würde sie sich fragen, warum er so wenig sagte. Leo lächelte, denn er wusste, dass die Zeit des Wartens auf ein Wiedersehen vorbei war. Nun war es so weit.
An jenem Tag war Eve so warm und sinnlich in seinen Armen dahingeschmolzen, dass er nicht die wenigen Stunden bis zum Ende der Besprechung hatte warten können, sondern sie sofort hatte küssen müssen. Er zweifelte keine Sekunde daran, dass sich das lange Warten gelohnt hatte.
Und was seinen Grundsatz betraf, nicht mit seiner Assistentin ins Bett zu gehen – solche Regeln waren dazu da, gebrochen zu werden. Leo lächelte Eve zu und nahm ihren Arm. Der Gedanke an das, was vor ihm lag, erfüllte ihn mit sinnlicher Vorfreude: ein langer Abend voller Vergnügungen, wenn es nach ihm ging. Und das wird es natürlich, fügte er in Gedanken hinzu.
Vielleicht lag es daran, dass die anderen Evelyn so bereitwillig als seine Verlobte akzeptierten, vielleicht daran, dass Leo überraschend feststellte, dass es ihm gar nicht widerstrebte oder schwerfiel, ihren Verlobten zu spielen. Vielleicht war es auch der Gedanke an das, was danach kommen würde, wenn er ihr das schöne Abendkleid vom Körper streifen und die Frau entdecken würde, die sich darunter verbarg. Woran es auch liegen mochte, alles lief großartig. Getränke und Kanapees, das Abendessen, Kaffee und Dessert – das Hotel hatte sich für die
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