Verlobt für eine Nacht
perfekte Bewirtung einen Bonus verdient. Alles war perfekt. Eric Culshaw strahlte übers ganze Gesicht, seine Frau lächelte glücklich, und die Alvarezes waren geistreiche, unterhaltsame Gesprächspartner, die eine lustige Anekdote nach der anderen erzählten, sodass man häufig vor Lachen kaum essen konnte.
Und Evelyn – die entzückende Evelyn – spielte ihre Rolle ebenfalls perfekt, abgesehen von einer winzigen Kleinigkeit, wie Leo stirnrunzelnd feststellte: Warum musste sie nur alle zehn Minuten auf die Uhr sehen? Sie hatte schließlich nichts Wichtiges vor. Zumindest nicht, bevor er und sie Gelegenheit gehabt hätten, die Erinnerung an ihre frühere Begegnung aufzufrischen.
Nachdem Kaffee und Likör serviert worden waren und sich die Hotelangestellten leise und diskret in die Küche zurückgezogen hatten, gähnte Eric Culshaw unterdrückt. Sofort entschuldigte er sich und erklärte, er habe die Angewohnheit, jeden Tag frühmorgens einen langen Spaziergang zu machen, weshalb er abends nie lange aufbleiben könne.
„Aber ich danke Ihnen sehr, dass Sie heute Abend gekommen sind“, fuhr er fort. „Richard und Leo, meinen Sie, wir können morgen die Vertragsbedingungen festlegen?“
Während die Männer sich zurückzogen, um die Uhrzeit für ein Treffen zu vereinbaren, plauderten die Frauen angeregt und suchten Handtaschen und Stolen zusammen.
Was für liebe Menschen, dachte Eve und wünschte, sie hätte alle unter anderen Bedingungen kennenlernen können und ihnen nichts vorspielen müssen. Vermutlich würde sie die Culshaws und die Alvarezes nie wiedersehen, und es würde nichts ausmachen, da sie alle bald getrennte Wege gehen würden. Dennoch gefiel es ihr ganz und gar nicht, dass sie einen Abend lang vorgegeben hatte, jemand anders zu sein.
„Gehen wir?“, riss Leo sie aus ihren Gedanken, nahm ihre schmale Hand und küsste sie. Ihm war deutlich anzusehen, wie zufrieden er mit sich und dem Verlauf des Abends war.
Und jetzt noch der Schlussakt, dachte Eve, als seine Lippen ihre Hand streiften und in seinen Augen unverhohlenes, mühsam im Zaum gehaltenes Verlangen aufflammte. Sein glühender Blick verhieß eine Nacht voller Leidenschaft. Es war der Blick, den ein Mann seiner Verlobten schenkte, bevor sie sich ins gemeinsame Schlafzimmer zurückzogen. Doch das hier war alles nur zum Schein.
Eve allerdings brauchte sich nicht zu verstellen und reagierte, als hätte ihr tatsächlich der Geliebte wortlos eine Liebesnacht versprochen: Sie spürte, wie ihr Körper empfänglich für Leo wurde, ihr Puls schneller wurde und sich an jener verborgenen Stelle zwischen ihren Beinen heißes Verlangen ausbreitete. Sie konnte an nichts anderes mehr denken als an Sex mit Leo. Kein Wunder, dass alle uns für ein Liebespaar halten, dachte Eve. Er spielte seine Rolle so überzeugend, dass ihr Körper unwillkürlich heftig darauf reagierte.
Schade, dachte sie bedauernd, als sie sich von den anderen verabschiedeten und die Suite verließen. Schade, dass dies alles zu nichts führte. Wie viel emotionale Energie und prickelnde Sinnlichkeit verschwendet wurde … Sie konnte förmlich spüren, wie sich ihr Körper auf die nun kommende Enttäuschung einstellte. Das plötzliche Schweigen, als sie ohne die anderen durch den Gang liefen, schien die Leere und Bedeutungslosigkeit dieser Farce noch zu unterstreichen.
„Wartet der Chauffeur unten auf mich?“, fragte Eve und blickte auf das Display ihres Handys, als sie vor den Aufzügen warteten. Sie hatte keine SMS von Mrs Willis bekommen, wie sie erleichtert feststellte. Offenbar lief mit Sam also alles problemlos.
„Hast du es denn eilig, nach Hause zu kommen?“, fragte ihr Begleiter. „Gibt es jemanden, der auf dich wartet?“
„Nein, eigentlich nicht. Ich freue mich nur auf zu Hause.“
Eilig hatte sie es nicht. Mrs Willis schlief jetzt ohnehin schon, sodass Eve ihren Sohn erst am nächsten Morgen abholen würde. Andererseits hatte sie hier im Hotel aber auch nichts mehr zu erledigen. Ihr Auftrag war abgeschlossen, und es war an der Zeit, das Lügenmärchen zu beenden und nach Hause zu fahren.
„Wirklich nicht? Und warum hast du dann während des Essens alle fünf Minuten auf die Uhr gesehen? Ich habe den Eindruck, dass ich dich von etwas sehr Wichtigem fernhalte – oder von jemand sehr Wichtigem.“
„Nein, das stimmt nicht“, widersprach Eve und war wütend auf sich selbst, dass sie so indiskret gewesen war. Um ihre SMS-Nachrichten zu lesen war sie extra
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