Verlockend untot
er mich nicht ausgebildet hätte, wäre ich jetzt vielleicht tot…«
»Oder du wärst vielleicht gar nicht in Gefahr geraten. Hast du bemerkt, dass wir offenbar immer dann Probleme mit Dämonen bekommen, wenn der schwarze Hexer in der Nähe ist?«
»Was soll das heißen?«
»Vielleicht bietet er dir keinen Schutz vor der Gefahr, sondern ist ihre Ursache.«
»Das ist doch lächerlich!«
»Glaubst du? Ich weiß nur eins: Immer dann, wenn du Schwierigkeiten mit Dämonen hast, weilt er in deiner Nähe.«
»Er ist mein Leibwächter! Seine Aufgabe besteht darin, in meiner Nähe zu sein…«
»Du hast andere Leibwächter.«
»Ja, und die meisten von ihnen wünschen sich an einen anderen Ort. Und außerdem war der Angreifer kein Dämon.«
»Das behauptet Pritkin.«
»Ich vertraue ihm!«
Pause Nummer vier. »Aber ich nicht.«
Und das war's, so deutlich wie eine klar ausgesprochene Herausforderung. Wie um die Bedeutung der letzten Worte zu unterstreichen, nahm mir Marco stumm das Handy aus der Hand und steckte es ein. Sein Gesichtsausdruck gab mir zu verstehen, dass er es nicht wieder hervorholen wollte.
Na schön.
Es klingelte an der Tür.
Ich sah mich im Zimmer um. Die Hotels in Vegas – insbesondere jene, die gebaut worden waren, bevor Handys weite Verbreitung gefunden hatten –, zeichneten sich durch eine Besonderheit aus: Es gab praktisch überall Festnetzanschlüsse. Viel beschäftigte Geschäftsführer brauchten sofortigen Zugang zu den Unternehmen, die sie verspielten, und sie wohnten nur dort, wo sie einen solchen Zugang hatten. Daher waren nicht weniger als drei Telefone in Sicht: eins im Wohnzimmer, eins auf dem Tresen der Bar und ein weiteres auf der Arbeitsplatte in der Küche.
Und zufälligerweise befand sich ein Vampir in der Nähe eines jeden Apparats. Also gut.
Ich stand auf und kehrte in mein Zimmer zurück.
Meine Handtasche enthielt kein Handy, was mich keineswegs überraschte. Ich hatte auch keins erwartet. Wenn ein Meistervampir Anweisungen erteilte, hielten sich seine Männer penibel daran, und Marco war immer sehr gründlich. Aber es gab Dinge, die ein Vamp nicht bemerkte, insbesondere ein so alter wie er.
Ich ging ins Bad, schaltete den Abluftventilator ein, drehte die Dusche auf und ließ mit voller Lautstärke Led Zeppelin aus dem eingebauten Radio erklingen.
Vampire benutzten Badezimmer nicht sehr oft, und das galt insbesondere für die Toilettenanlagen. Und natürlich hielten die Bediensteten des Hotels alles sauber. Ich war bereit zu wetten, dass die Jungs da draußen die Tür der Toilettenkabine nie geöffnet hatten.
Und dann wusste ich, dass ich die Wette gewonnen hätte, denn ich sah ein weiteres Telefon, an der Wand. Es war groß und wirkte recht kompliziert, wie ein Apparat, der eigentlich auf den Schreibtisch einer Chefsekretärin gehörte; über dem Halter des Toilettenpapiers wirkte das Ding ein bisschen fehl am Platz. Aber es war da, und als ich den Hörer abnahm, bekam ich sofort ein Freizeichen.
Pritkin nahm beim ersten Klingeln ab, als hätte er meinen Anruf erwartet. »Hast du noch Jonas' Schlüssel?«, fragte ich leise.
Für ein oder zwei Sekunden herrschte Stille am anderen Ende der Leitung, als hätte Pritkin mit so etwas nicht gerechnet. Doch er fasste sich schnell. »Mal sehen, was ich tun kann.«
Er legte auf, und ich ebenfalls. Nachdem ich einige Minuten gewartet hatte, drehte ich das Wasser zu und ging in mein Zimmer. Ich zog mich nicht um, denn dadurch hätte vielleicht jemand Verdacht geschöpft. Aber ich fügte meinen Klamotten einen BH hinzu, steckte die Füße in alte Turnschuhe und stopfte mir etwas Geld und meine Schlüssel in die Tasche. Dann marschierte ich in den Aufenthaltsraum.
Die Burschen spielten noch immer Poker, ohne ein Wort, denn es gab keine Menschen, für die sie reden mussten. Deshalb breitete sich keine Stille aus, als ich hereinkam und mein halb ausgetrunkenes Bier nahm, denn es war bereits still. Doch zehn Augenpaare beobachteten, wie ich zum Wohnzimmer ging und auf den Balkon trat.
Die Windspiele klirrten leise im von der Wüste wehenden Wind.
Es war ein warmer Wind, aber nach der Kühlschrankkälte drinnen fühlte er sich gut an. Ich stützte mich an die Brüstung, trank mein Bier und wartete.
Marco streckte den Kopf durch die Tür. »Gibt es ein Problem?«
»Ich brauche ein bisschen frische Luft.«
Er richtete einen argwöhnischen Blick auf mich, aber seine Anweisungen sahen offenbar nicht vor, mich in meinem Zimmer
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