Verlockend untot
Ihnen jetzt etwas, und wenn Sie mit jemandem darüber reden, streite ich alles ab. Der Meister hätte diesen Befehl nicht geben dürfen. Man hätte erwarten können, dass er Sie gut genug kennt, um zu wissen, was passieren würde. Aber er hat den Befehl trotzdem gegeben, weil er sich große Sorgen machte, unter Stress steht und die Dinge nicht immer klar sieht, soweit es Sie betrifft. Was jedoch nicht bedeutet, dass er Sie nicht respektiert.«
»Oh, natürlich nicht!«, erwiderte ich und verteilte das Badesalz mit etwas mehr Nachdruck im Wasser, als eigentlich nötig gewesen wäre.
»Er spricht viel von Ihnen in der Familie. Er ist stolz auf Sie, daran besteht kein Zweifel.«
»Für niemanden außer für mich.«
»Vielleicht sagt er es Ihnen nicht, aber es ist die Wahrheit.«
»Und warum sagt er es mir dann nicht? Derzeit fühle ich mich wie eins der … der Flittchen, von denen Sie mir erzählt haben …«
»Das Wort ›Flittchen‹ habe ich nie benutzt.«
»… wie eine von diesen Schicksen, die einfach nur herumhängen, einkaufen, ihre Fingernägel lackieren und darauf warten, dass ihr Herr und Meister bei ihnen aufkreuzt! So behandelt er mich. Warum also sollte ich nicht glauben, dass er mich auf diese Weise sieht?«
»Weil ihm wahrscheinlich die Vorstellung gefällt, dass Sie einkaufen und sich die Fingernägel lackieren, anstatt sich in Gefahr zu begeben! Und weil er ein Politiker ist, der nicht gern auf einen Vorteil verzichtet.«
»Einen Vorteil wobei?«
»Bei dem Ringen um Macht…«
»Es geht hierbei nicht um Macht.«
»Von wegen.«
»Wirklich nicht! Ich will Mircea nicht herumkommandieren. Ich will auch nicht, dass Senat oder Kreis Anweisungen von mir entgegennehmen. Ich möchte nur…«
»Sie möchten, dass man Sie ernst nimmt und auf Sie hört. Dass man sich von dem leiten lässt, was Sie sagen. Und das ist Macht, oder?«
»Es ist mein verdammter Job!«
Marco sah mich an und wollte etwas erwidern, schüttelte dann aber nur den Kopf. »Ich dachte, ich würde nie jemandem begegnen, der ebenso dickköpfig ist wie der Herr«, sagte er. »Ich habe mich geirrt.«
»Ich versuche nicht, dickköpfig zu sein.«
»Ich weiß. Es ist wie bei Mircea. Ihr braucht es gar nicht zu versuchen; bei euch geschieht es automatisch.«
Ich seufzte. »Ich schätze, ich sollte mit ihm reden.«
Ich weiß nicht, wie mein Gesicht aussah, aber Marco lachte. »Ja, aber Sie bekommen noch eine Gnadenfrist. Er meinte, er würde Sie heute Abend anrufen, spät. Er hat den ganzen Tag zu tun.«
»Und was hat er zu tun?«
Marco hob und senkte die Schultern. »Senatskram, denke ich. Sie müssen ihn selbst fragen.«
»Was ist mit Jonas?« Wenigstens ein unangenehmes Gespräch wollte ich hinter mich bringen.
»Er hat vor einer Weile angerufen, während Sie schliefen. Er meinte … Moment.« Marco zog ein Notizbuch aus der Gesäßtasche und schlug es auf. »Er meinte, er wüsste vielleicht, was Sie gestern Nacht angegriffen hat. Er ist nicht sicher, aber der Angreifer könnte etwas sein, was er ›Spartoi‹ nannte.«
»Spartaner?«
»Nein. Das habe ich ebenfalls gedacht, aber er hat es für mich buchstabiert. Es heißt Spartoi. Es sollen fünf sein, Söhne von Ares und einem Drachen…«
Ich hatte gerade das Wasser abgedreht und sah auf. »Drachen?«
»Ja. Eines Drachen der Elfen. Kann seine Gestalt verändern, wissen Sie?«
»Ja«, sagte ich langsam. Das würde erklären, warum der verdammte Drache so schwer zu töten gewesen war. Einmal hatte ich Pritkin und Mac, einen Freund von ihm, beim Kampf gegen einen Drachen beobachtet, und es war nicht annähernd so schlimm gewesen. Aber dieser andere Drache war auch kein Halbgott gewesen.
»Sonst noch etwas?«, fragte ich. »Hat Jonas gesagt, wie wir gegen einen solchen Feind kämpfen sollen?«
»Ich glaube, am besten wäre es, einen Kampf zu vermeiden«, erwiderte Marco. »Er sagte, Sie sollten heute im Hotel bleiben. Er hat die Wachen verdreifacht; es kann sich also kein Unbefugter Zutritt verschaffen. Er muss noch einige Nachforschungen anstellen, will aber morgen mit Ihnen reden.« Marco blätterte in seinem Notizbuch, fand aber sonst nichts und klappte es zu. »Das wär's.«
Und es war genug,
dachte ich. Offenbar ging Marco ein ähnlicher Gedanke durch den Kopf, denn er wirkte ein wenig besorgt, als befürchtete er, dass ich erneut versuchen könnte, seiner Aufsicht zu entwischen. Aber das wollte ich gar nicht. Dafür war ich viel zu sauer.
Allem Anschein nach
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