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Verlockend untot

Verlockend untot

Titel: Verlockend untot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Chance
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hüllte mich darin ein wie in eine Decke und sagte mir, dass ich endlich damit aufhören sollte, blöd zu sein.
    Ich wusste nicht, warum ich auf diese Weise reagierte. Immerhin hatte ich im Voraus gewusst, wie sie aussah. Ich hatte einmal ein Foto von ihr gesehen: ein graues, körniges Etwas in der Ferne. Aber das Bild war deutlich genug gewesen, um mir die Wahrheit zu zeigen.
    Ich sah meiner Mutter überhaupt nicht ähnlich.
    »Es ist alles in Ordnung«, sagte ich mit zugeschnürtem Hals und fühlte, wie Mircea hinter mir seufzte.
    »Es ist nicht alles in Ordnung mit dir, Dulceatä. Du bist wütend und fühlst dich verraten …«
    »Ich habe keinen Grund, mich verraten zu fühlen.«
    »Sie hat dich verlassen, als du ein Kind warst…«
    »Sie ist gestorben, Mircea!«
    »Ja, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass sie dich verlassen hat. Und das hat dir sehr wehgetan.«
    »Es soll mir wehgetan haben? Ich war kaum vier.«
    »Es war schmerzhaft für dich«, beharrte Mircea. »Aber du ver-suchst nicht, mit solchen Gefühlen fertigzuwerden, Cassie. Du schenkst ihnen einfach keine Beachtung.«
    »Das stimmt nicht.«
    »Es ist immer wahr gewesen. Es handelt sich dabei um einen der wesentlichen Aspekte deines Charakters.«
    Ich bedachte Mirceas Spiegelbild mit einem finsteren Blick, aber wenn er es bemerkte, reagierte er nicht darauf. Er nahm mir das leere Sektglas aus der Hand und stellte es auf einen nahen Tisch. Dann schlang er erneut die Arme um mich und hielt mich gefangen, obwohl es sich so nicht anfühlte. Ich wollte nicht über diese Sache reden, aber plötzlich wollte ich mich auch nicht mehr bewegen.
    »Weißt du noch, als ich Antonios Hof besuchte?«, fragte Mircea.
    »Du warst damals ein Kind.«
    »Ja, ich erinnere mich.« Ein Jahr war er damals bei uns gewesen, bis fast zu meinem zwölften Geburtstag. Ein langer Besuch, selbst nach den Maßstäben der Vampire. Zu jener Zeit hatte ich mir nicht viel dabei gedacht; Tony hatte oft Besuch bekommen, und ich hatte es für normal gehalten, dass auch sein Herr und Meister zu den Besuchern zählte. Erst später war mir klar geworden, dass Mircea auch noch einen anderen Grund gehabt hatte.
    Er hatte herausgefunden, dass die kleine Hellseherin an Tonys Hof die Tochter der früheren Erbin des Pythia-Throns war. Meine Mutter hatte Amt und Verantwortung den Rücken gekehrt, um einen dunklen Magier in Tonys Diensten zu heiraten. Das nahm ihr jede Möglichkeit, das Erbe anzutreten, aber es blieb ohne Einfluss auf meine Aussichten, einmal Pythia zu werden.
    »Du hast gehofft, dass ich eines Tages die neue Pythia werden würde.«
    Mircea versuchte gar nicht, es abzustreiten. Er war ein Vampir.
    Alle der Familie zur Verfügung stehenden Ressourcen zu nutzen, galt in ihrer Kultur als Tugend, und eine mögliche Pythia war eine sehr wichtige Ressource. »Ja, aber du warst auch für dich allein genommen interessant.«
    Ich schnaubte. »Ich war elf. Mit elf ist man nicht interessant.«
    »Die meisten Elfjährigen laufen nicht herum und reden mit Geistern«, erwiderte Mircea trocken. »Sie weisen auch nicht beim Essen wie beiläufig daraufhin, dass eine der Personen am Tisch ein Mörder ist…«
    »Ich dachte, Tony bekäme einen Herzanfall«, sagte ich und erinnerte mich an sein Gesicht. »Ich meine, wenn er ein lebendes Herz gehabt hätte.«
    »Eine gewöhnliche Elfjährige hätte mich auch nicht zu einem aus der Zeit des Bürgerkriegs stammenden Schatz geführt, der sich hinter einer Mauer befand und von dem niemand sonst etwas wusste.«
    »Der Bursche, der den Schatz dort versteckte, wusste darüber Bescheid.«
    »Ich meine Folgendes: Du warst ein faszinierendes Kind, auch wegen der Art und Weise, wie du mit Schmerz umgegangen bist.
    Besser gesagt: wie du es vermieden hast, damit umzugehen.«
    »Ich komme gut damit klar.«
    Mircea verzichtete auf einen Kommentar, aber eine Hand legte sich um die Faust, die ich an der Hüfte geballt hatte. Ich spürte seine Finger auf harten Knöcheln. »Ich war etwa einen Monat bei euch«, fuhr er fort, »als ich zufälligerweise an deinem Zimmer vorbeikam.
    Es war spät, und du hättest eigentlich schlafen sollen, aber ich hörte einen Aufschrei von dir. Ich betrat das Zimmer und sah dich auf dem Bett sitzen, die Arme um die Knie geschlungen und den Blick auf die Wand gerichtet. Weißt du noch, was du geantwortet hast, als ich dich fragte, was mit dir los sei?«
    »Nein.« Ich hatte Bilder beobachtet, die über Wand und Decke gehuscht waren

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