Verlockend untot
gab sie auch einige Straßen entfernt, und ich vermutete, dass sie aus der Luft betrachtet wie ein großes Rad aussahen. Oder vielleicht wie ein Kranz. Das wäre weihnacht-licher gewesen, nicht wahr?
Auf jeden Fall waren sie hübsch unter dem schwarzen Himmel, fand ich, als mir das Wasser eines Regens in die Augen tropfte, der vielleicht vor vielen Jahrzehnten gefallen war. Ich machte mir nicht die Mühe, es wegzuwischen, denn es schien keine Rolle mehr zu spielen.
Und dann hörte ich jemandem, der lief und sich mir näherte, und bevor ich reagieren konnte, fühlte ich mich von Händen an den Schultern gepackt und umgedreht. Benommen blickte ich zu Mircea hoch, der ein bisschen irre aussah. Sein Haar war zerzaust, ein seltsamer Glanz lag in den Augen, und ein Klecks Schlamm klebte an seiner Wange. »Du bist noch hier«, sagte er verblüfft.
Ich nickte vorsichtig und rechnete halb damit, gleich nicht mehr hier zu sein.
Seine Finger schlossen sich fester um meine Schultern, fast schmerzhaft fest. Und dann hob er mich hoch und schwang mich, ohne auf mein schmutziges Kleid, mein nasses Haar oder die Sicherheit der Passanten zu achten. »Du bist noch hier!«, sagte er, lachte und küsste mich.
Entweder war es ein verdammt guter Kuss, oder der Umstand, entgegen allen Erwartungen noch am Leben zu sein und es auch zu bleiben, erwies sich als überaus starkes Aphrodisiakum. Nach nur einer Sekunde vertrieben Mirceas Lippen den kalten Schock aus mir, der mich fast gelähmt hatte, und meine Arme legten sich um seine Schultern, und ich schlang ein Bein um ihn, und ehe ich mich versah, kletterte ich an ihm hoch und schien zu versuchen, ihm in den Mund zu kriechen. Mircea gab ebenso viel, wie er empfing. Seine Hände fanden meinen Hintern, und ich schlang auch das andere Bein um ihn, und er drehte sich mit mir, während es schneite, Wagen hupten und jemand lachte, und mir war das alles scheißegal, denn ich lebte und konnte das alles erleben.
Wir lösten uns erst voneinander, als wir zu ersticken drohten. Ich klammerte mich an ihm fest, außer Atem und schwindelig von Leidenschaft und dem Mangel an Luft, vielleicht aus allen drei Gründen, und das Publikum, das sich um uns herum versammelt hatte, applaudierte höflich. Jemand reichte uns einen Mistelzweig – »Nicht dass Sie ihn brauchen« –, und Mircea klemmte ihn sich verspielt hinters Ohr. Und dann küsste er mich erneut.
Ich glaube, er hörte nur damit auf, weil ich zu zittern begann. Wir waren beide nass, und ich fror und hatte es geschafft, irgendwo und irgendwann die Jacke zu verlieren. Trotz Mirceas Wärme bahnte sich die Kälte der Nacht einen Weg unter meine Sachen, strich mir den Hals hinunter und die Beine hinauf.
Es hatte keinen Sinn, auch nur zu versuchen, nach Hause zu springen. Ich konnte von Glück sagen, wenn ich am nächsten Morgen dazu imstande war, vorausgesetzt, ich bekam bis dahin etwas zu essen und genug Schlaf. Und das war ein Problem.
Ich sah Mircea an, der fasziniert die fallenden Schneeflocken beobachtete. »Mircea?«
»Es ist wunderschön, Dulceata«, sagte er voller Ehrfurcht. »Siehst du? Wunderschön.«
»Was ist wunderschön?«
»Der Schnee. Die Nacht.« Seine Arme schlossen sich enger um mich. »Du.«
Ich richtete einen argwöhnischen Blick auf ihn. »Danke.«
Warme Lippen fanden meinen Hals. »Gern geschehen.«
»Mircea. Es ist kalt.«
»Ich halte dich warm«, versprach er, und die Lippen rutschten in meinen Ausschnitt.
Na schön, es wurde wärmer. »Wir können nicht die ganze Nacht an dieser Straßenecke verbringen«, wandte ich ein.
»Natürlich können wir das nicht.« Und bevor ich richtig begriff, was geschah, waren wir am Ende der Straße, meine Arme in seinen, als er erst in die eine Richtung sah und dann in die andere, neugierig und entzückt. Was ihn so sehr entzückte, wusste ich nicht, aber eine Sekunde später lachte er. »O ja, das genügt vollauf.«
Scheinwerferlicht erfasste die vor uns fallenden Schneeflocken.
Sie schienen mitten in der Luft zu erstarren und glänzten in einem goldenen Ton, als sich eine Limousine näherte und an der Ecke hielt.
Ich sah Mircea an. »Wie … ?«
»Ich habe den Wagen von einem Freund geliehen«, sagte er, öffnete die Tür und schob mich hinein. Und dann deckte er meinen Körper sofort mit seinem zu.
Diesmal küsste er mich langsamer, mit zärtlichen Bewegungen von Lippen und Zunge, sanft und bedacht. Für einige Sekunden vergaß ich alles um mich herum; die Welt schien nur
Weitere Kostenlose Bücher