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Verlockend untot

Verlockend untot

Titel: Verlockend untot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Chance
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Zeitblasen, um Angreifer abzuwehren; und ich hielt die Zeit an, damit ich besser fliehen konnte. Auf diese Weise hatte ich mein Talent vor allem genutzt. Aber meine Mutter … Sie beschränkte sich nicht auf die Verteidigung. O nein, sie zog es vor, Halbgöttern gehörig in den Arsch zu treten.
    Die Kriegsmagier hatten eine volle Offensive gegen sie gestartet, doch Mama hatte ihnen eine Lektion erteilt, die sie so schnell nicht vergessen würden. Einen hatte sie gefangen gesetzt wie einen Käfer unter Glas, und einen anderen hatte sie mit ihrer Kutsche überfahren.
    Musste ein verdammt harter Typ sein, meine Mutter.
    Und so lag die Macht der Pythia in den Händen einer Person, die wirklich damit umzugehen verstand. Zwar glaubte ich nicht, dass ich jemals auch nur annähernd so gut werden konnte, aber es gab mir zu denken.
    Allerdings war das hier nicht der geeignete Ort dafür, denn ich wurde allmählich schrumpelig. Ich hatte gar nicht gewusst, dass eine Dusche so etwas machen konnte, aber diese war hart und heiß und voller Enthusiasmus, so sehr, dass meine Finger und Zehen zerknitterten. Ich trat aus der Kabine, trocknete mein Haar und strich mit der Hand über den nächsten Spiegel.
    Er zeigte mir, was ich erwartet hatte: eine dünne, blasse junge Frau mit blondem Zottelhaar, dunklen Ringen unter den Augen und einem großen blauen Fleck am Haaransatz. Ich beugte mich näher heran, hielt das Haar zurück und betrachtete mein Gesicht. Inzwischen hatte ich viel mehr als ein grießiges Bild, aus der Ferne aufgenommen. Ich hatte das andere Gesicht aus einer Entfernung von nur dreißig Zentimetern gesehen, und sosehr ich mich jetzt auch bemühte, ich konnte nicht einmal ein vages Echo in mir erkennen.
    Meine Augen waren blau, aber einfach nur blau. Mein Haar war rötlich, ein bisschen, im richtigen Licht, nicht zu vergleichen mit dem wundervollen bronzefarbenen Ton. Und mein Gesicht… war einfach nur ein Gesicht.
    Es erwiderte meinen Blick aus dem Spiegel, mit zu runden Wangenknochen und unmodischen Sommersprossen, verstreut auf einer Nase mit schiefer Spitze. Es war eigentlich kein schlechtes Gesicht, nicht in dem Sinne, aber es war auch nicht umwerfend. Ich stand da und suchte darin nach irgendwelchen Spuren dieser ätherischen Schönheit… Und plötzlich begriff ich: Wenn ich nicht nach meiner Mutter kam, musste ich meinem Vater ähneln.
    Dem dunklen Magier, der sie vom Hof fortgelockt hatte, von ihrem rechtmäßigen Platz in der Erbfolge, von allem, was ihr vertraut gewesen war. Agnes hatte mir einmal gesagt, dass meine Mutter ein großes Talent der Macht gewesen war, das beste, das sie kannte, und dafür hatte ich an diesem Abend reichlich Bestätigung gesehen.
    Und doch war sie bereit gewesen, das alles für einen bösen Mann zurückzulassen, für ein früheres Mitglied des berüchtigten Schwarzen Kreises. Und diesem Mann ähnelte ich?
    Ich beugte mich noch etwas näher zum Spiegel. War dies das Gesicht, das einer Horde von Geistern befohlen hatte, den Silbernen Kreis auszuspionieren, dem es fast gelungen wäre, den Schwarzen Kreis unter seine Kontrolle zu bringen und das irgendwie die jungfräuliche Erbin des Pythia-Throns verführt hatte? Das Spiegelbild antwortete nicht, sondern sah mich nur wässrig an.
    Ich verzog das Gesicht und versuchte, bedrohlich auszusehen.
    Was mir das Erscheinungsbild einer jungen Frau gab, die nicht nur nass war, sondern auch noch an Verstopfung litt.
    Ich seufzte. Vielleicht kam ich nach irgendeinem fernen Verwandten. Das konnte ich nicht wissen, weil ich nie auch nur ein grießiges Bild von meinem Vater gesehen hatte. Ich wollte auch gar keins, zumindest nicht als Andenken, aber es wäre nett gewesen zu erfahren, wie er ausgesehen hatte.
    Es wäre auch nicht schlecht gewesen, wenn ich mich angezogen hätte, bevor der Rest von Wärme aus dem Badezimmer entwich.
    Meine Sachen waren in der Limousine zurückgeblieben, was ich, ehrlich gesagt, für keinen großen Verlust hielt. Neben der Tür hingen mehrere Frottee-Bademäntel, und ich hielt einen von ihnen in der Hand, als mir plötzlich einfiel…
    Lieber Himmel!
    Hatte ich mich wirklich dazu bereit erklärt, nackt durch diese Suite zu spazieren?
    Eine Zeit lang stand ich da, drückte den Bademantel an mich und starrte in den Spiegel, der gnädigerweise wieder beschlug. Ich sagte mir, dass es keine Rolle spielte, dass ich auch im Wagen nackt gewesen war, verdammt noch mal, und dass mich unterwegs zweifellos viele Leute gesehen

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