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Verlockend untot

Verlockend untot

Titel: Verlockend untot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Chance
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Menge Sex und Gewalt.«
    Ich runzelte die Stirn. »Warum glauben Sie, dass mir so etwas …«
    »Und in gewisser Weise sind die Sagen wie Visionen, denn sie geben uns Puzzlestücke. Nicht die besten Stücke, wohlgemerkt, und nicht in der richtigen Reihenfolge, aber immerhin Stücke. Es liegt an uns, die Bedeutung dieser Puzzlestücke zu entschlüsseln.«
    »Zu entschlüsseln?«, wiederholte ich und versuchte zu verstehen, in welche Richtung das führte.
    »Um ihre Bedeutung für unsere gegenwärtige Situation zu erkennen. Wie wir vor kurzer Zeit auf recht drastische Weise erfahren haben, basieren viele alte Mythen unserer Welt auf realen Ereignissen. Man nehme die Legende vom Ouroboros …«
    »Ouroboros?«, sagte ich leise. Artemis' Schutzzauber gehörte nicht unbedingt zu meinen Lieblingsthemen.
    »Ja. Wie bei den meisten Kulturen auf der Welt gibt es auch bei den Skandinaviern eine Legende über eine Riesenschlange, die sich selbst in den Schwanz beißt und dadurch den Planeten schützt. Der altnordische Name für diese Schlange lautet Jörmungandr. Man be-zeichnet sie auch als Midgardschlange, und in der germanischen Mythologie ist sie eine die Welt umschlingende Seeschlange. Gezeugt wurde sie von Loki, der sich in ein Reptil verwandeln konnte.«
    Jonas wich von der Tafel zurück, damit ich sehen konnte, was er gemalt hatte. Was allerdings nicht viel half, denn was ich auf der Tafel erblickte, sah nach einem verformten Fußball mit Augen aus.
    Oder vielleicht nach einem deformierten Tintenfisch …
    »Nach der Legende wurde Jörmungandr beziehungsweise die Midgardschlange schließlich so groß, dass sie die ganze Erde umschlingen und ihren eigenen Schwanz packen konnte. Man glaubte, die Welt würde von ihr zusammengehalten und auseinanderbrechen, wenn sie jemals losließe.«
    Jonas fügte oben auf der Tafel eine kleine Linie hinzu und schrieb »Loki« in ihre Mitte. Dann malte er drei vertikale Linien, wie bei einer Ahnentafel. Mit einer davon verband er den Fußball und unterstrich ihn.
    »Das ist die Erde?«, fragte ich, um ganz sicher zu sein.
    »Ja.«
    »Und das darumgewickelte Ding ist Jor… wie auch immer?«
    »Ja.« Jonas runzelte die Stirn. »Ist es nicht deutlich erkennbar?«
    »Nicht unbedingt.«
    Er beugte sich vor und veränderte die Zeichnung. »Ist es so besser?«
    Ich bemerkte keinen Unterschied. Bis ich genauer hinsah und feststellte, dass das Etwas mit den Augen jetzt auch eine kleine ge-spaltene Zunge hatte.
    »Jonas …«
    »Nun, interessant an den nordischen Mythen sind nicht die Unterschiede im Vergleich mit den anderen Mythologien, sondern vielmehr das, was sie hinzufügen«, sagte Jonas. Er zog eine Linie vom Fußball, kritzelte einen Namen darunter und richtete einen erwartungsvollen Blick auf mich.
    »Thor?«, vermutete ich, denn Jonas' Handschrift war nicht besser als seine Zeichenkunst.
    »Ja.«
    »Gott des Donners, großer Bursche mit einem Hammer?«
    »Genau. Und Jörmungandrs Erzfeind. Die Legende erzählt, dass in der Ragnarök…« Er sah mein Gesicht. »Das ist der altnordische Begriff für ›Zwielicht der Götter«, den großen Krieg, der über das Schicksal der Welt entscheidet.«
    Ich nickte, hauptsächlich deshalb, damit er endlich zur Sache kam.
    »Die Legende erzählt, dass Thor Jörmungandr bei der Ragnarök besiegt, um dann kurze Zeit später zu sterben«, sagte Jonas. Und das schien der Punkt zu sein, denn er stand da, wippte auf den Zehen und schien sehr mit sich zufrieden zu sein.
    »Ich warte noch auf den interessanten Teil«, sagte ich nach einigen Momenten.
    Jonas blinzelte. »Verstehen Sie denn nicht? Was wir erlebt haben, ist von wesentlicher Bedeutung. Der Ouroboros-Zauber wurde besiegt, was einem der alten Götter die Rückkehr ermöglichte. Und er starb kurze Zeit später.«
    »Aber das war Apollo.« Das Unbehagen breitete sich weiter in mir aus. Wenn es etwas gab, über das ich noch weniger gern sprach als den Ouroboros, dann war es der Typ, der ihn besiegt hatte.
    Apollo war die Quelle der Kraft gewesen, die zu meinem Amt gehörte. Er hatte sie seinen Priesterinnen von Delphi geschenkt, damit sie ihm helfen konnten, die verräterischen Menschen im Auge zu behalten. Aber als der Ouroboros-Zauber ihn und die anderen Götter hinauswarf, blieb die Kraft zurück, an die Pythien gebunden, die ihre Arbeit fortsetzten, jetzt für den Kreis und die Menschen, die Apollo so verachtet hatte.
    So hatte es zumindest ausgesehen, bis ich auf der Bildfläche erschienen war.

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