Verlockend wie ein Dämon
gehasst.«
»Vielleicht«, sagte sie seufzend. Aber vielleicht auch nicht. Brians Entscheidung war für sie nie mit einem Fragezeichen versehen gewesen. Im Grunde genommen war er ein Mann, der – abgesehen davon, dass er klug, amüsant und absolut umwerfend im Bett war – mehr Ehre im Leib hatte als jeder andere. Und doch war es ihm gelungen, sie zu überraschen. Sie hätte nie diese schmerzlichen Geheimnisse bei ihm vermutet, nie vermutet, dass sie so viel gemeinsam hatten – dass sie sich mit derselben Dunkelheit tief in ihrem Innern herumschlagen mussten und von denselben Schuldgefühlen aufgefressen wurden. Die Maske, die er trug, war vielleicht sogar besser als ihre eigene.
Sie lächelte.
Sie mochte Männer, die nicht so waren, wie sie auf den ersten Blick wirkten.
Er hatte gerade etwas sehr Mutiges getan, indem er seine Vergangenheit beichtete, um Heather zu helfen, ihren Weg in die Zukunft zu erkennen. War sie bereit, genauso viel Courage zu beweisen? Zu sehen, ob sie beide eine Zukunft zusammen hatten?
»Lena, ich –«
»Warte«, unterbrach sie ihn. »Du hast schon genug geredet. Ich glaube, jetzt bin ich an der Reihe.«
Er hob eine Augenbraue, schwieg aber und wartete.
Lena öffnete ihre Handtasche und holte die Puzzleschachtel heraus. Sie legte sie ihm in die Hände und dirigierte dann seine Finger zu den vier Punkten, die gleichzeitig gedrückt werden mussten, damit sich die Schachtel öffnete.
Der Deckel schnellte nach oben und legte den Inhalt der Schachtel frei.
»Das«, begann sie und nahm ein gewelltes, vergilbtes Foto heraus, »ist ein Bild meines Vaters. Er hieß Russell Sharpe und kam achtzehnhunderteinundsiebzig als britischer Archäologe nach Kairo …«
Brian saß da und hörte Lena sprachlos zu. Sie erzählte, dass ihre Mutter an Malaria starb, als Lena sechs Jahre alt war, und dass ihr Vater so sehr in seinen Ausgrabungen aufging, dass er manchmal tagelang verschwand und sie sich vollkommen selbst überließ.
»Mit sechs?«, fragte er. »Er hat dich allein gelassen, als du sechs Jahre alt warst?«
»Er meinte es nicht so«, entschuldigte Lena ihn. »Er dachte, dass sich unsere Haushälterin um mich kümmerte. Aber sie nahm einfach sein Geld und tat, wonach ihr der Sinn stand. Mein Vater war nicht mehr er selbst, nachdem meine Mutter gestorben war.«
Es lag keine Bitterkeit in ihren Worten, selbst als sie beschrieb, wie er ihr den Rücken gekehrt hatte, als sie schwanger wurde. Ihre Dankbarkeit dafür, dass er Lily nach Lenas Tod wie seine eigene Tochter aufzog, war nicht geheuchelt. Und ihr Kummer darüber, dass sie ihre kleine Tochter nicht ein letztes Mal hatte umarmen können, war fast mit Händen zu greifen, aber doch durch das Wissen gemildert, dass Lily das hohe Alter von achtundneunzig Jahren erreichen würde. Erst als sie auf Azim zu sprechen kam, den Vater ihres Kindes, wurde ihre Stimme rauh. »Ich habe ihn geliebt, so sehr, wie ich damals nur jemanden lieben konnte. Aber ich habe es ihm nie gesagt. Im Rückblick weiß ich, dass ich Angst hatte, ihn zu sehr zu lieben. Schließlich hat mich jeder, der mir jemals wichtig war, verlassen.«
Es lag Brian auf der Zunge zu beteuern, dass er sie nie verlassen würde, aber er beherrschte sich gerade noch rechtzeitig. Wie hätte er solch ein Versprechen machen können?
»Ich habe nicht mehr so viele Erinnerungen an Azim«, gestand sie. »Um die Gunst der heidnischen Götter zu gewinnen, musste ich ihnen Dinge abtreten, die einen besonderen Wert für mich haben. Horus wollte Strähnen von meinem Haar, Nephthys nahm Träume, und Sechmet verlangte Erinnerungen.«
Entsetzt starrte Brian sie an. Erinnerungen? Es gab einige, die er gern verdrängt hätte, aber die meisten seiner Erinnerungen waren kostbar. »Tu das nie wieder. Wir bilden dich aus. Du brauchst nichts mehr aufzugeben, das dir so wichtig ist, um Hilfe zu bekommen.«
Sie wurde rot. »Heute musste ich die Erinnerung an unseren ersten Kuss hergeben. Es tut mir leid, aber ich brauchte Sechmets Unterstützung wirklich dringend.«
Er blinzelte. Waren das Tränen in ihren Augen? Weinte sie tatsächlich, weil sie sich nicht mehr an ihren ersten Kuss erinnerte? »Du meinst, du erinnerst dich nicht mehr daran, dass du mir zunächst mit einem Kristallbriefbeschwerer eins über den Schädel gezogen hast?«, neckte er.
Die Tränen kullerten herab.
»Nein.«
Er küsste ihr die Tränen erst auf der einen Wange, dann auf der anderen Wange fort. »Dann müssen wir
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