Verlockend wie ein Dämon
blickte zu dem jungen Wächter. »Meinst du, du schaffst es, dich nicht zu verlaufen?«
Carlos zuckte unbekümmert die Schultern. »Im schlimmsten Fall laufe ich allein zum Hotel zurück. Nicht so wild. Was soll ich tun, wenn ich die Zielperson finde?«
»Die Zielperson?« Lena lachte auf. »Er ist ein Freund, kein Feind.«
Carlos’ Blick begegnete dem ihren. »Du hast gesagt, dass er die Absicht hat, die Münzen zu behalten. Und nimm’s mir nicht übel, aber ein Freund von dir zu sein, ist nicht unbedingt die beste Referenz, die man einem Kerl wünschen kann.«
Er vertraute ihr nicht. Schön und gut. Sie vertraute ihm auch nicht. Sie nickte. »Hast du sein Foto auf dein iPhone geladen?«
»Ja. Ich werde es aber nicht brauchen. Ich weiß, wie er aussieht.«
»Gut«, sagte Brian. »Dann los.«
Carlos verschwand in der dichten Menge, und auch sie schoben sich vorwärts und nahmen jeden Passanten sorgfältig unter die Lupe. Es waren Touristen wie Einheimische. Verkäufer mit müden Augen und geschmeidigen Zungen taten ihr Bestes, um einen Handel abzuschließen, während viele Kinder versuchten, Fußgänger in die Läden zu locken. Die Köpfe der meisten Käufer waren unbedeckt, selbst die der Frauen, und ihre Aufmerksamkeit war auf die Waren gerichtet, die auf den Tischen auslagen. Lebensmittel, Hosen, Schals, Kleider, Lederwaren. Fast alles, was man sich nur vorstellen konnte. Überall lag Müll, häufig Verpackungen, die die Verkäufer achtlos fortwarfen, wenn sie die Tische wieder mit Waren auffüllten, aber auch einige Plastiktüten und leere Essensbehälter.
Lena folgte ihrer feinen Nase, während sie sich einen Weg durch Duftfahnen aus frittierten Tamiya, würzigen Kushari, Abgaswolken und Körperausdünstungen bahnte. Die Vielfalt der Gerüche überforderte ihr Riechorgan beinahe. Trotzdem prüfte sie jeden Verdacht gründlich. Wenn Tariq hier war, gedachte sie, ihn zu finden.
Als sie sich dem Zentrum des Marktes näherten, musterte sie mit zunehmender Wachsamkeit den sich langsam dahinwälzenden Menschenstrom und diejenigen, die am Rand standen. Das Amulett hatte präziser angezeigt als der Beschwörungszauber. Hier musste der Ägypter sein. Ihr Blick glitt über einen sehr fülligen Burschen mit einem glänzenden Gesicht, eine magere blonde Touristin, die ihre Handtasche an die Brust gepresst hielt, und einen untersetzten Mann mit großen, abstehenden Ohren.
Brian stupste sie an. »Ist er das?«
Sie sah in die Richtung seines unmerklichen Nickens. Ein dünner Mann mit kurz getrimmtem, lockigem Haar lehnte am Steinbogen einer Ladenfront. Er ließ das schüchterne Mädchen, mit dem er sich unterhielt, nicht aus den Augen. Sein Gesicht hatte definitiv Ähnlichkeit mit dem von Tariq, besonders um Nase und Kinn, aber er war es nicht.
»Nein.«
Lena betrachtete erneut die Tische, die die Straße säumten. Ein sauertöpfischer, grauhaariger Mann nahm ein Bündel Ledergürtel von der traditionell gekleideten Muslima hinter ihm entgegen. Lenas Blick glitt weiter zum nächsten Tisch, wo rote Fese an Touristen verkauft wurden. Dann sah sie wieder zu der Muslima zurück.
Diese Hände.
Sie waren nicht so feingliedrig wie die Hände einer Frau, sondern dürr und mit rechteckigen Fingerspitzen. Die Hände eines Künstlers.
Ihr Blick flog nach oben und versuchte, hinter den dunkelblauen Hidschab zu spähen, in die Augen der Frau – den einzigen Teil des Gesichts, der zu sehen war. Hätte sie nicht wenige Tage zuvor noch unter einer burgunderroten Kapuze in diese Augen geschaut, so hätte sie sie vielleicht nicht erkannt. Sie waren bemerkenswert hübsch.
»Ähem.« Brian erstarrte neben ihr, und sein Griff um ihren Arm wurde fester. »Das kann nichts Gutes bedeuten.«
Obwohl der warnende Ton in seiner Stimme sie neugierig machte, wagte Lena nicht, den Blick von Tariq zu wenden. Deshalb zupfte sie an Brians Hand und sagte: »Ich hab ihn gefunden.«
Aber noch während sie sprach, wandte sich Tariq um. Er riss die Augen auf angesichts dessen, was auch immer er da entdeckte, dann machte er kehrt und rannte davon. Lenas Reflexe waren viel automatisierter als seine, und sie hätte ihn sicher aufgrund seiner hinderlichen Verkleidung zu fassen bekommen, wenn Brian nicht auf einen anderen Reiz reagiert hätte und sein Griff um ihren Arm nicht so eisern gewesen wäre. Er wandte sich nach links und sie sich nach rechts.
Sie verfehlte die blaue Kutte um wenige Zentimeter.
»Hier entlang«, zischte sie und riss
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