Verlockende Angst

abgeschlossen? «
    Seth warf mir ein verschmitztes Lächeln zu. » Ich möchte nicht, dass Marcus bei uns hereinplatzt. Was ist, wenn ich in den kalten New Yorker Nächten kuscheln will? «
    Ich blickte noch finsterer drein. » Wir kuscheln nicht. «
    Er legte mir einen Arm um die Schultern und sein Geruch nach Minze und Wildpflanzen reizte meine Nase. » Wie wär’s, wenn wir knutschen? «
    » Auch nicht! «
    » Aber du bist mein Kuschelhase. Mein kleiner Apollyon-Kuschel… «
    Ich boxte ihn in die Rippen.
    Lachend schob Seth mich zur Tür. » Komm mit! Ich zeige dir etwas. «
    Er griff nach meiner Hand. » Der Rat kommt heute zu seiner ersten Sitzung zusammen. Ich finde, wir sollten zusehen. «
    » Klingt langweilig. « Aber ich ließ mich von ihm aus dem Zimmer ziehen. Schließlich hatte ich nichts anderes zu tun.
    » Wir könnten auch trainieren. « Seth zerrte mich ins Treppenhaus, wobei er immer mehrere Stufen auf einmal nahm. » Ich fühle mich ganz zappelig– habe in letzter Zeit niemandem Feuerbälle an den Kopf geworfen. «
    » Das klingt jedenfalls interessanter, als wenn eine Horde von Reinblütern auf die Sahne haut, wie toll sie und ihre Gesetze sind. «
    » Auf die Sahne hauen? « Seth grinste von einem Ohr zum anderen. » Ich kann nicht glauben, dass du dich so ausdrückst. «
    » Wieso? « Ich zog eine finstere Miene. » Ich wollte es einfach mal drastisch ausdrücken. «
    Mit gerunzelter Stirn stieg Seth die Stufen hinunter. Im Treppenhaus kamen wir an mehreren Dienern in grauer Kleidung vorbei. Alle schlugen die Augen nieder. Ich beobachtete, dass sie die Köpfe hoben, nachdem sie an uns vorbei waren.
    Seth zog mich an der Hand. » Komm weiter, sonst verpassen wir alles! «
    Draußen drang mir der eisige Wind durch den Pullover und ich zitterte. Ausnahmsweise war ich dankbar für Seths Hand, denn sie fühlte sich unglaublich warm an.
    » Jedenfalls wird die Ratssitzung sicher interessant. Es ist eine Anhörung. «
    » Ich dachte, meine Anhörung sei die einzige. «
    » Nein. « Seth führte mich um den Westflügel der Villa herum. » Es gibt mehrere Anhörungen. Deine ist nur eine von vielen. «
    Ich wollte ihm antworten, doch dann traten wir um die Hausecke, und ich presste die Lippen aufeinander. Ein Labyrinth aus hüfthohen Marmorwänden trennte uns von dem Colosseum, das ganz im griechischen Stil errichtet war. Aus den Ranken, mit denen sie überwachsen waren, wuchsen bunte Blumen, die alle in voller Blüte standen. Dicke Stämme einer Kletterpflanze schlangen sich um die Statuen und Bänke und überzogen alles mit leuchtend rotem und grünem Blattwerk. » Wow. «
    Seth schmunzelte. » Wenn du auf diesem Weg bleibst, gelangst du direkt zum Rat. «
    Ich blickte mehrere Pfade entlang, die vom Hauptweg abzweigten. » Ist das ein echtes Labyrinth? «
    » Ja. Aber ich habe es noch nicht ausgekundschaftet. «
    » Sieht aus, als würde das Spaß machen, findest du nicht? « Ich sah zu ihm auf. » Ich bin noch nie in einem Labyrinth gewesen. «
    Sein selbstzufriedenes Grinsen wich einem echten Lächeln. » Wenn du brav bist– und ich meine, wirklich brav–, können wir vielleicht später im Labyrinth spielen. «
    Ich verdrehte die Augen. » Meine Güte, echt? «
    Er nickte. » Aber du musst auch dein Abendbrot aufessen. «
    Ich würdigte ihn keiner Antwort. Eine Zeit lang verlor ich mich irgendwie in der Umgebung. Wie in aller Welt brachten die Reinblüter es nur fertig, diese zarten Blumen das ganze Jahr über am Leben zu erhalten? Das musste Magie sein, alte Magie. Je weiter wir auf dem Pfad vordrangen, umso dicker wurden die Stämme der Kletterpflanzen, und als wir fast am Ende waren, ging Seth langsamer.
    » Wir müssen uns hineinschleichen « , erklärte er. » Eigentlich dürfen wir bei den Ratssitzungen nicht zuhören. «
    » Und wenn wir erwischt werden? «
    » Werden wir nicht. «
    Es fühlte sich seltsam an, Seth zu vertrauen, vor allem… weil ich ihm tatsächlich vertraute. Nicht so rückhaltlos, wie ich mein Leben in Aidens Hände gelegt hätte, aber beinahe… fast.
    Hinter dicken Steinsäulen stand am Eingang des Colosseums Themis, die Göttin der himmlischen Gerechtigkeit. Beeindruckend war sie mit dem Schwert in der einen und der Waage in der anderen Hand, aber ihre Gegenwart war nicht frei von Ironie– Reinblüter hatten keine Ahnung von Ausgewogenheit und Gerechtigkeit.
    Das Gebäude hätte noch aus dem alten Griechenland stammen können. So versteckt, wie der New Yorker