Verlockende Angst
schwarzer Kreis tätowiert. Ich warf Aiden einen Blick zu und stellte fest, dass er mich immer noch ansah. Er lächelte mir angespannt zu und stieg dann aus. Ich fragte mich, ob seine zweifelnde Miene etwas mit mir zu tun hatte.
Ich bekam ein Zimmer im fünften Stock, das mit dem von Marcus verbunden war. Das hatte jedenfalls der halbblütige Pförtner hinter der Tür der Villa behauptet, bevor er in die Schatten zurückgetreten war. Ich blickte überhaupt nicht durch und folgte einfach dem blonden jungen Mann. Wohin man Aiden und Leon brachte, konnte ich nicht sehen, aber ich hätte gewettet, dass sie Zimmer in einem der unteren Stockwerke bekamen–prächtige große Räume.
Wir durchquerten das grandiose Foyer und betraten eine verglaste Passage zwischen zwei Gebäudeteilen. Links von uns lag wahrscheinlich der Eingang zum Ballsaal, doch die glitzernden Lichter zogen mich nicht an. Mitten in der Passage standen jedoch die völlig gleichen Skulpturen wie in der Empfangshalle des Covenant in North Carolina.
Furien.
Ich unterdrückte ein scharfes Keuchen und eilte um die Statuen herum, um den halbblütigen Diener einzuholen. Doch das beklemmende Gefühl blieb auch, nachdem ich die Passage verlassen hatte, und breitete sich dumpf in meinem Hinterkopf aus. Wir stiegen mehrere Treppen hinauf und plötzlich ertrug ich das Schweigen nicht länger.
» Und… ähem, wie gefällt es dir hier? « , fragte ich, als wir einen schmalen Gang betraten, dessen Wände mit Ölgemälden ausgeschmückt war.
Der Junge hielt den Blick fest auf den Orientteppich gerichtet.
Okay… ob es hier eine Regel gab, dass die Dienstboten nicht sprechen durften? Ich betrachtete die Bilder und zählte innerlich die Götter auf, an denen wir vorbeikamen: Zeus, Hera, Artemis, Hades, Apollo, Demeter, Thanatos, Ares… Moment mal… Thanatos? Ich blieb stehen, um mir die Darstellung genauer anzusehen.
Thanatos hatte Flügel und trug ein Schwert in der Hand. Er sah eigentlich wie ein ziemlich cooler Engel aus. Aber er besaß auch den gleichen, nach oben gerichteten betrübten Gesichtsausdruck wie der Gott auf unserem Friedhof. In der linken Hand hielt er eine nach unten gerichtete brennende Fackel. Warum hing das Abbild des Thanatos, eines eher unbedeutenden olympischen Gottes, hier zwischen den anderen?
Eine Tür wurde geöffnet und lenkte mich von dem Gemälde ab. Ich warf einen Blick über die Schulter. Der Diener starrte zu Boden und hielt die Tür auf.
Ich warf die Lippen auf und musterte die vier mattweißen Wände dahinter. Ein Wandschrank wäre eine allzu schmeichelhafte Beschreibung für dieses… dieses Kämmerchen gewesen. Ich trat ein und der Diener stellte mein Gepäck hinter der Tür ab.
In dem Raum stand ein Bett– ein Doppelbett–, auf dem eine kratzig wirkende braune Decke und ein einziges flaches Kissen lagen. Auf einem winzigen Nachttisch stand eine rostige Lampe, die schon bessere Zeiten erlebt hatte. Ich brauchte nur zwei Sekunden, um das Zimmer zu durchqueren und ins Bad zu spähen.
Es war ungefähr so groß wie ein Sarg.
Mein Blick glitt über verkratzte Fliesen, einen schmutzigen Spiegel und Rostflecken, die den Abfluss in der Dusche umgaben. » Ihr wollt mich wohl auf den Arm nehmen « , murmelte ich.
» Erwartet man etwa, dass du in diesem Zimmer schläfst– in diesem Bett? «
Als ich so unerwartet Seths Stimme hörte, fuhr ich zusammen und stieß mir die Hüfte am Waschbecken. » Autsch! « Ich rieb mir die schmerzende Stelle und wandte mich um.
Seth stand am Fuß des Betts und Verachtung mischte sich in seine ewig selbstzufriedene Miene. Ich hatte ihn nur einen Tag nicht gesehen, aber merkwürdigerweise hatte ich das Gefühl, es sei länger gewesen. Das offene Haar hing ihm bis zum Kinn herab. Und er war in Jeans und einen einfachen schwarzen Pullover gekleidet– eine Seltenheit.
Irgendwie war ich froh, ihn zu sehen.
» Ja, dieses Zimmer ist ätzend. « Ich trat aus dem Bad.
Seth schlenderte zu einer Tür auf der anderen Seite des Betts. Er beugte sich vor und drehte den Schlüssel im Schloss.
» Vermutlich keine Abstellkammer, oder? «
» Nein, das ist die Tür zu Marcus’ Zimmer. «
Er hob die Brauen. » Man hat dir eine Dienstbotenkammer gegeben. «
» Nett. « Ich sah mich um und stellte fest, dass es in dem Zimmer weder einen Kleiderschrank noch eine Kommode gab. Ich musste während meines Aufenthalts im New Yorker Covenant also aus dem Koffer leben. Hurra! » Warum hast du die Tür
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