Verlockende Versuchung
noch viel schöner und prunkvoller als in der Nacht. Geschickt verband die Einrichtung Luxus und Behaglichkeit. Elegant gearbeitete Friese umrahmten die Decken, Fenster und Türen, farbenfrohe Blumengestecke zierten die Beistelltische und brachten sommerliche Gerüche in die Zimmer. Eigentlich war es zu früh im Jahr für eine solche Blütenpracht, doch Devon wollte ihre Unwissenheit nicht kundtun und fragen, woher die Blumen stammten. Nicht einmal Tansy gegenüber wollte sie sich eine solche Blöße geben.
Das stürmische Wetter der letzten Nacht war strahlendem Sonnenschein gewichen und erinnerte daran, dass der Frühling vor der Tür stand. Auf ihrem Rundgang hatte das Hausmädchen Devon einen kleinen Garten an der Rückseite des Hauses gezeigt. Als Tansy zurück an die Arbeit musste, schlang sich Devon einen Schal um die Schultern - ein weiteres Kleidungsstück, das sie sich von der abwesenden Julianna geliehen hatte - und schlüpfte ins Freie hinaus.
Der Garten war von allen Seiten von roten Ziegelmauern umgeben und voller zurechtgestutzter Büsche und Bäume. Devon war von der Pracht überwältigt. Im Sommer musste es hier wunderschön sein, erfüllt von dem üppigen Duft der Blüten und dem satten Grün der Pflanzen. Sie durchschritt einen hölzernen Torbogen und folgte dem bemoosten Fußweg bis hin zu einer Steinbank. Den Kopf leicht in den Nacken gelegt, ließ sie die warmen Sonnenstrahlen über ihr Antlitz gleiten. Eine angenehme Brise umschmiegte ihr Gesicht, und sie betrachtete das Licht, das sich in den Baumwipfeln brach. Als langsam die Abenddämmerung hereinbrach, kehrte sie widerwillig ins Haus zurück.
Das Abendessen nahm sie in ihrem Zimmer ein und wagte sich danach hinunter in die Bibliothek. Gerade hatte sie es sich in dem Ledersessel gemütlich gemacht, der letzte Nacht so einladend gewunken hatte, da hörte sie eine tiefe männliche Stimme.
»Wen haben wir denn hier? «
Es war Justin. Etwas, das sich fast wie Enttäuschung anfühlte, machte sich in ihr breit, und beinahe wünschte sie sich, dass sich nicht er, sondern Sebastian in dem Zimmer befände. Großer Gott, was war nur über sie gekommen, dass sie sich derart danach sehnte, Sebastian wiederzusehen? Das alles ergab überhaupt keinen Sinn, vor allem angesichts der schlechten Meinung, die er von ihr hatte. Doch sobald er in ihrer Nähe war, geriet ihr gesamtes Dasein in Aufruhr. Völlig verunsichert konnte sie sich nicht mehr auf ihre Gefühle verlassen, die wie eine Flutwelle auf sie einströmten. Angst j edoch hatte sie keine vor ihm, ebenso wenig Bedenken, ihm erhobenen Hauptes entgegenzutreten.
In Wahrheit war es Ehrfurcht, die Devon für ihn empfand. Nicht allein Sebastians Größe flößte ihr Respekt ein, obwohl sie in ihrem Leben noch keinem Mann von seiner Statur begegnet war. Es war auch nicht sein dunkles, anziehendes und überaus attraktives Äußeres. Sebastian war nicht wie die Männer, denen sie bisher begegnet war. Die Männer im Crow's Nest stolzierten mit aufgeblähter Brust umher und prahlten mit ihren Leistungen und Errungenschaften, was Devon als äußerst lästig fand.
Sebastian hingegen hatte dies nicht nötig. Von ihm ging eine Aura gleichmütigen Selbstvertrauens und erhabener Gelassenheit aus. Er musste kein einziges Wort sagen, es genügte, ihn nur anzusehen, und man merkte sofort, dass er allen anderen Männern um Längen überlegen war. Devon war fasziniert von ihm, auch wenn seine überhebliche und gebieterische Art ihr missfiel.
In der vergangenen Nacht jedoch war Sebastian so nett gewesen. Fast schon ... liebevoll. Und obwohl er es nicht guthieß, durfte Webster bleiben. Sebastian war auch nicht verärgert gewesen, dass sie wie eine Diebin für die er sie ja hielt - im Haus herumgeschlichen war.
Ohne es zu wollen entsann sich Devon des Abends, als sie mit letzter Kraft aus dem Bett aufgestanden war, um das Haus zu verlassen. Der Versuch hatte damit geendet, dass sie in Sebastians Arme gestolpert war ... Die Erinnerung an alles Folgende war verschwommen, doch sie hätte schwören können, dass er ihr Gesicht und ihre Lippen zärtlich berührt hatte, so unendlich sanft, dass allein der Gedanke daran sie innerlich aufschreien ließ ...
Sie verdrängte die beunruhigenden Erinnerungen aus ihrem Bewusstsein, um sich dem Mann in der Bibliothek zuzuwenden. Natürlich hatte sie Justin gern, ermahnte sie sich beherzt. Auch er strahlte Selbstvertrauen aus und war kein bisschen anmaßend - jedenfalls nicht ihr
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