Verlockende Versuchung
hindern, auf Sebastian loszugehen. Ich dachte, unser Vater würde mich umbringen. Oder uns beide. Und dann verprügelte mich Sebastian, weil ich mich eingemischt hatte. Er erklärte mir, er könne es ertragen, immerhin sei es seine Pflicht.«
Doch Devon hörte kaum, was Justin zuletzt gesagt hatte, so sehr stand sie immer noch unter Schock. Sebastian war von seinem Vater geschlagen worden. Geschlagen.
Justin hatte Recht. Die Privilegierten wurden nicht immer vom Leben bevorzugt Das Leben der Privilegierten war anscheinend nicht immer ein Geschenk der Götter.
»Es ist gut, dass mein Bruder nicht hier ist«, beendete Justin seine Ausführungen mit einem düsteren Lächeln. »Er wäre mit meinem Trinken nicht einverstanden.«
»Dein Bruder ist mit deinem Trinken nicht einverstanden! «
Genau in diesem Moment trat Sebastian in die Bibliothek, äußerst elegant gekleidet in seinem purpurroten Opernumhang und seiner Abendgarderobe. Seine Lippen waren zu einem dünnen Strich geformt.
Er sah außerordentlich bedrohlich aus.
Justin war sich nicht bewusst, wie ernst Sebastian blickte. Oder es kümmerte ihn nicht, war Devons Vermutung.
Ein Klirren erscholl, als Justin mit der Flasche den Rand des Glases traf.
»Lasst uns mit der Geschichte fortfahren ... «
Daraufhin drehte sich Sebastian Devon zu. »Entschuldigt uns bitte«, bedeutete er ihr knapp. »Ich würde gerne kurz mit meinem Bruder sprechen.«
»Oh, lass sie bleiben«, meinte Justin bedächtig. »Es wäre richtig, sie in die Sterlingschen Geheimnisse einzuwei hen - immerhin gehört sie fast zur Familie.« Er legte den Kopf schief. »Weiß sie bereits davon, dass Mama mit ihrem Liebhaber davongelaufen ist und ihre Kinder verlassen hat? Nein? Das dachte ich mir.«
Justin wandte sich weiterhin an Devon.
»Der Skandal war grauenhaft, wie Ihr Euch vorstellen könnt. Welche Frau würde ihre Kinder im Stich lassen? Wobei es natürlich nicht das erste Mal vorkam, dass sie untreu war. Zu ihrer Verteidigung muss man jedoch sagen, dass sie gewartet hat, bis wir Kinder geboren waren. Sie und ihr Begleiter - so wollen wir ihn nennen - kamen bei der Überquerung des Ärmelkanals ums Leben.«
»Justin ... «
Doch Justin schenkte seinem älteren Bruder keine Beachtung. »Als Vater starb, nahm Sebastian die Zügel in die Hand und machte dort weiter, wo Vater aufgehört hatte. Mein Bruder brachte alles ins Lot, sodass wir wieder gern gesehene Gäste in den besten Salons ganz Eng l ands wurden. Keine weiteren Skandale, außer Juliannas. Obwohl niemand ein Wort darüber verliert. Es ist fast so, als ob j eder diesen Schandfleck vergessen hätte ... abgesehen natürlich von der armen Julianna , die sicherlich nicht so leicht darüber hinwegkommt.«
»Das reicht jetzt«, warnte Sebastian ihn eisig.
Ein unfreundliches Lächeln umspielte Justins Mund. »Tatsächlich? Ich brauche dich nicht, damit du mir sagst, wie ich mein Leben zu führen habe, Sebastian,
»Wie du mich ebenso nicht benötigst, um dir zu erklären, wie du es ruinieren kannst.«
Devon fühlte sich, als hätte man sie vergessen.
»Spar dir die Belehrung. Ich bin ein Mann und kein kleiner Junge mehr. «
»Dann wird es Zeit, dass du dich auch wie einer benimmst. Du hast überhaupt kein Pflichtgefühl. Keinen Sinn für Verantwortung ... «
»Das liegt doch nur daran, dass du genug für uns beide hast!« Ein verzerrter Ausdruck lag auf Justins Gesicht. »Du bist genau wie Vater. Zuerst kommt der Titel. Zuerst kommt die Pflicht. Oh ja, seine Schuhe passen dir außerordentlich gut. Alles muss wohlgeordnet sein, immer am richtigen Platz ... Jeder muss funktionieren. «
Sebastian machte einen Schritt auf seinen Bruder zu, der völlig starr in seinem Sessel saß.
»Großer Gott«, meinte Sebastian schroff, »ich würde dich gerne...«
»Was? Mich verprügeln?« Ein leises, spöttisches Lachen erfüllte die Luft. »Ach ja. Das würde dich tatsächlich zu einem würdevollen Nachfahren unseres Vaters machen...«
Eine schneidende Stille machte sich breit, und Justin blickte unerschrocken in Sebastians vor Zorn blitzende Augen. Devon hielt die Luft an. Für einen endlos erscheinenden Moment waren die Sterling-Brüder in einen wütenden, stillen Kampf verwickelt.
Es war Sebastian, der ihn beendete, indem er auf dem Absatz kehrtmachte und aus der Bibliothek schritt, das Gesicht eine unergründliche Maske.
Das laute Rufen des Marquess scheuchte die Dienerschaft aus ihren Betten.
»Macht die Kutsche bereit«, befahl
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