Verlockendes Dunkel
Sh’vad Tual zu holen, bevor er Máelodor in die Hände fiel. Du spieltest dabei keine andere Rolle als eine schon fast vergessene Erinnerung.«
Ihr Gesicht versteifte sich, ihre Augen wurden noch dunkler. »Und jetzt?«
»Jetzt war ich unaufmerksam, und du bist hereingestürmt wie ein Ozeanwind und hast mich an eine Vergangenheit erinnert, die ich mit aller Macht hatte vergessen wollen. Du bist Heimat , Lissa. Weite, wolkenbedeckte Himmel, grüne Felder, kühle Nebel und das Rauschen der Brandung.«
Nun lächelte sie wieder. »Das ist gut.«
»Nein, es ist das Schlimmste, was mir passieren konnte.«
»Also wirklich, Brendan – jetzt verwirrst du mich.«
»Wenn du bei mir bist, bin ich gezwungen zu sehen, wie viel ich verloren habe und was ich niemals haben kann. Nicht, wenn ich wirklich die Bedrohung beenden will, die ich ins Leben gerufen habe.«
»So weit wird es nicht kommen. Helena wird da sein. Sie und Rogan …«
»Darauf kann ich mich nicht verlassen. Máelodor hat nicht so lange überlebt, ohne alle Möglichkeiten zu kennen und sich ihrer zu bedienen.«
»Du vergisst, dass du auch überlebt hast.«
»Du hast aber auch wirklich auf alles eine Antwort.«
»Und du hättest mir nichts von alldem erzählt, nicht wahr? Was hattest du vor, Brendan? Heute noch fortzugehen und nie wieder zurückzublicken?«
Genau das hatte er vorgehabt, ja. »Es erschien mir wie das Beste.«
»Für wen? Für dich? Na klar, warum auch nicht? Du bist so lange auf der Flucht gewesen, warum also nicht einfach damit weitermachen? Und mich zurücklassen, um hinter dir aufzuräumen. Das hast du ja schon einmal getan. Wahrscheinlich wird es mit jedem Mal ein bisschen leichter.« Ihre Stimme wurde schärfer. »Aber merk dir eins: Keine noch so große Entfernung kann dich retten vor den Gespenstern, vor denen du fliehst. Also geh nur und versuche zu vergessen! Wetten, dass du das nicht kannst?«
»Verdammt noch mal! Das ist genau das, was ich vermeiden wollte. Eine Szene mit einer hysterischen Frau.«
»Ich bin nicht hysterisch.«
»Dann eben eine Frau, die unter Wahnvorstellungen leidet.«
Die Faust kam aus dem Nichts heraus.
»Verdammt noch mal, Elisabeth!«, fauchte er und packte sie am Oberarm. »Kannst du es nicht lassen, mich zu schlagen, bis wir unseren Streit beendet haben?«
Sie stützte eine Hand auf ihre Hüfte. »Ich weiß nicht. Kannst du es lassen, ein Blödmann zu sein?«
Brendan musste wider Willen lächeln. Wie typisch für Elisabeth! Statt des üblichen weiblichen Geplärres und Gejammers ging sie einem direkt an die Kehle. Ein schon fast lächerlicher Stolz erfasste ihn. Diese einzigartige, berauschende, irritierende, wunderbare, dickköpfige Frau gehörte ihm.
Er ergriff sie sanft an den Schultern, und obwohl ihre Augen noch immer Funken sprühten, schien der Kampfgeist in ihr abgeebbt zu sein. »Das versuche ich dir ja gerade zu sagen. Ich werde mich den Dämonen, die ich entfesselt habe, endlich stellen. Ich laufe nicht mehr weg. Und ich werde auch nicht vergessen. Selbst wenn ich wollte, könnte ich das nicht.«
Wieder reagierte sie nicht wie erwartet. Sie füllte das entstandene Schweigen nicht mit falschen Hoffnungen oder Einwänden aus, verfluchte nicht das Schicksal und warf sich auch nicht in seine Arme, um ihn anzuflehen zu bleiben, was beide in Verlegenheit bringen würde.
Oh nein, sie schaute ihn nur mit einer steilen Falte zwischen ihren Brauen und leicht geschürzten Lippen ruhig an. Lange Sekunden verstrichen, und das Gewicht ihres festen Blickes war immer schwerer zu ertragen.
Ach, zum Teufel! Er würde es riskieren. Nervös griff er nach ihrer Hand und spürte, wie sich seine Nerven anspannten. Auch seine Schultern verspannten sich. Weil es ihn ängstigte, wie leicht es war, ihr Dinge zu sagen, die er noch keinem anderen anvertraut hatte. Wie sehr er sich schon auf sie verließ.
Nur um sie dann ebenso schnell, wie er Vertrauen zu ihr gefasst hatte, auch wieder zu verlieren.
Und sie legte ihre kühle, sanfte Hand in seine, trat ohne das geringste Zögern näher und erhob das Gesicht zu ihm. Ihr Kuss war so sanft, wie ihre Worte schroff gewesen waren. Ihr Duft stieg ihm in die Nase und erfüllte seinen Kopf.
Er erwiderte den Kuss, sehr sachte zunächst nur, bis sie einladend die Lippen öffnete und die warme Feuchte ihres Mundes ein hemmungsloses Begehren in ihm weckte. Ein Bedürfnis, sie als die Seine zu markieren, ihr mit seiner Berührung gewissermaßen seinen Stempel
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