Verlockendes Dunkel
»Ich habe meine Befehle.«
»Kann ich mir vorstellen«, räumte Rogan ein, noch immer in diesem wohlklingenden, fließenden Ton, der Elisabeths ganzen Körper wärmte, ihre Muskeln entspannte und ihr wild schlagendes Herz verlangsamte. Am liebsten hätte sie sich eingehüllt in diese Stimme, um beschützt zu sein und von der Furcht nicht mehr berührt zu werden. »Aber deine Befehle beinhalten bestimmt nicht, von einem Duinedon -Wachtmeister verhaftet zu werden und die nächsten Nächte im Gefängnis zu verbringen. Also verschwindet von hier und lasst die Leute in Ruhe!«
Das freundliche Zureden schien seine Wirkung auf den Mann, der Elisabeth festhielt, nicht zu verfehlen. Sein Griff lockerte sich, bevor er schließlich ganz die Hand wegzog. Sein Blick war verwirrt, als verstünde er nicht, warum er sich überreden ließ, doch er war machtlos dagegen.
»Steigen Sie auf, Miss!« Der Harfenist streckte ihr die Hand hin. »Aber vorsichtig bitte! Keine plötzlichen Bewegungen, denn die würden ihn wachrütteln. Die Magie des leveryas wird ihn unserem Willen beugen, aber ihre Macht ist nicht sehr stark und leicht zu brechen von einem starken Geist.«
Elisabeths Blick fiel auf Brendans auf dem Boden kauernde Gestalt. Er bewegte eine blasse Hand, deren Finger lang und schön wie die eines Musikers waren. Sie erinnerte sich daran, wie sie sich auf ihrer Haut angefühlt hatten, an die prickelnde Hitze, die bei seiner Berührung in ihr aufgestiegen war. Und an die Kraft in diesen Fingern, als er sie hinter sich gezogen hatte, um sie mit seinem eigenen Körper zu schützen.
»Ich kann nicht mitfahren. Nicht ohne Brendan.«
»Das müssen Sie auch nicht«, beruhigte Rogan sie.
In dem Moment schoss ein schwarz-weißes Fellbündel mit gefletschten Zähnen aus dem Wald, sauste über die Straße und verbiss sich in den Knöchel des Halunken.
Er brüllte auf, seine Augen wurden groß und rund, und sein Gesicht verzerrte sich vor Wut.
»Killer!«, schrie Elisabeth. »Hör auf!«
Aber der kleine Hund ließ nicht locker, sondern biss höchstens noch fester zu. Fluchend zog der Mann seine Pistole.
»Nein!« Elisabeth wollte sich auf ihn stürzen, um ihn am Arm zu packen, doch der Harfenist zog sie zurück.
Brendan nutzte diesen Moment, um sich nach vorn zu werfen, sein verlorenes Messer zu ergreifen, aufzuspringen und dem Mann die Klinge in den Hals zu stoßen.
Elisabeth schrie, als Blut aufspritzte und der Mann, ohne einen Laut von sich zu geben, in den Schmutz der Straße fiel. Den Messergriff in seinem Hals umklammerte er mit beiden Händen.
Brendan brach wieder zusammen und rang nach Atem. Das Blut aus seiner Schulterwunde durchnässte seinen Ärmel und tropfte von seinen Fingern herunter. Auch sein Gesicht und seine Brust waren schmutzig und blutverkrustet, als trüge er die Kriegsbemalung eines Wilden.
Killer beschnüffelte ihn, und sein Stummelschwänzchen wackelte vor Freude.
»Das war’s dann wohl«, murmelte Rogan und stieg vom Kutschbock. »Helena! Ein bisschen Hilfe, wenn ich bitten darf!«
Aus dem hinteren Teil des Wagens erschien eine Frau in kurzer Jacke und Lederhose, die ihre schlanke und dennoch kurvenreiche Figur betonten. Sie strahlte Kraft, aber auch Weiblichkeit aus. Ihr dunkles Haar war aus dem schmalen Gesicht zurückgenommen, und sie hatte ein ausdrucksstarkes Kinn und Lippen, die so fest aufeinandergepresst waren, dass sie schon fast weiß erschienen. Sie sprang vom Wagen und zuckte nicht mal mit der Wimper, als ihr Blick über die am Boden liegenden Männer glitt.
»Ist er tot?«, fragte sie und stieß Brendan mit der Stiefelspitze an.
»Noch nicht«, antwortete er mit rauer, schmerzerfüllter Stimme, rollte sich herum und blickte zu der Frau auf. »Vom Regen in die Traufe«, murmelte er, bevor ihm die Sinne schwanden.
Das Klappern der Bettlerbecher auf dem Platz vor der Kathedrale. Monsunregen auf einem löchrigen Dach in Algier. Das Krachen gedämpften Geschützfeuers.
Während Brendan langsam erwachte, verbanden sich die Geräusche zu einem stetigen, knarrenden Geklapper, und jeder neue Stoß des lärmenden Folterinstruments sandte einen schneidenden Schmerz von seinem Nacken bis in seine Finger, während Lichtblitze ihn blendeten und Sterne hinter seinen Lidern tanzen ließen.
Für einen schrecklichen Moment war er wieder in dem heruntergekommenen Cottage südlich von Glenlorgan, wo er im letzten Winter von dem elenden, perfiden St. John vier qualvolle Tage festgehalten worden war
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