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Verlockendes Dunkel

Verlockendes Dunkel

Titel: Verlockendes Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alix Rickloff
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ein alter Spiegel sein, da das Hintergrundsilber sich bereits an vielen Stellen löste. Aber hübsch geschnitzte Blumen, Blätter und Waldtiere schmückten den liebevoll polierten, dunklen Kirschholzrahmen.
    Elisabeth konnte gar nicht anders, als mit dem Finger über jede Einzelheit der Schnitzereien zu fahren und das perfekt wiedergegebene, misstrauische Gesicht eines Dachses, die lange, schnuppernde Nase eines Fuchses und einen Turmfalken, der die Flügel ausgebreitet hatte, als wartete er nur auf den nächsten Aufwind, zu bewundern. Genauso behutsam berührte sie die runden Blüten und breiten Blätter eines Königskelches, ein anmutiges Buschwindröschen und die verschlungenen Wedel eines Farns.
    Doch kaum streifte ihre Hand das Glas, trübte sich die Oberfläche des Spiegels, und das Licht darin erlosch, sodass er, bis auf einen schmalen Silberstreifen, so schwarz wie Obsidian wurde.
    Sie hätte nicht hinsehen sollen, denn hier handelte es sich um Andere -Magie, die nur Ärger brachte. Ärger im wahrsten Sinne des Wortes. War es ihr nicht immer wieder bewiesen worden? Doch noch während ihr der Gedanke kam, zog sie den Stoff beiseite und ließ ihn auf den Boden fallen. Aufgewühlte schwarze Gewitterwolken türmten sich auf dem Spiegel auf, und die sich aus ihnen entladenden Blitze brachten ihre Haut zum Prickeln.
    »Elisabeth?«
    Die Stimme erschreckte sie so sehr, dass das Herz ihr in die Kehle sprang.
    Madame Arana stand auf der anderen Seite des langen Raumes und wischte sich an einem Tuch die Hände ab. Eine offen stehende Tür hinter ihr schien in eine Art Lagerraum oder Büro zu führen. Die alte Dame trug eine schneeweiße Schürze und eine Morgenhaube über ihrem dünnen weißen Haar. »Ich war mir sicher, hier oben jemanden herumlaufen zu hören.«
    Elisabeth versuchte, sich ihre Verlegenheit nicht anmerken zu lassen. »Entschuldigen Sie bitte, aber Killer …«
    Der Hund kam hinter Madame Aranas Röcken hervor und legte sich vor ihre Füße. Die rosa Zunge, die aus einer Seite seines Mundes hing, ließ ihn aussehen, als grinste er.
    »Er hat mir bei der Arbeit Gesellschaft geleistet«, sagte die alte Dame und warf einen kritischen Blick auf all das Durcheinander. »Du musst meine Unordnung entschuldigen, Elisabeth. Als ich meinen Haushalt auflöste, konnte ich mich einfach nicht von meinen Sachen trennen. Es stecken so viele Erinnerungen darin, weißt du. Einige Stücke habe ich den ganzen Weg von meiner Heimat in der Provence mitgebracht, als ich vor den Schwierigkeiten in Frankreich floh. Helena lässt sie mich hier aufbewahren, falls ich Heimweh nach den alten Zeiten bekommen sollte.« Ihr Lächeln schwand, ihre Lippen wurden schmal und ihre Augen scharf wie Skalpelle. »Doch die Geschichten einer alten Frau willst du gewiss nicht hören. Du machst dir Sorgen um den jungen Douglas, nicht?« Sie legte das Handtuch weg. »Ist er schon zurückgekehrt?«
    Madame Aranas übernatürliche Weisheit war beängstigend und beruhigend zugleich. Es war geradezu eine Erleichterung für Elisabeth, jemandem, der die Gedanken förmlich aus ihrem Kopf herauszuziehen schien, nichts erklären zu müssen.
    »Nein, Helena hat ihn den ganzen Tag noch nicht gesehen. Ich … er hat mir endlich gesagt, was damals geschehen ist. Alles.«
    »Hat er das?« Madame Arana rieb sich nachdenklich das Kinn. »Seine Maske bröckelt schneller, als ich dachte.«
    Auch das hatte die alte Dame sehr gut durchschaut. Brendan verbarg sich hinter einer charmanten, verführerischen Maske, um alle auf Distanz zu halten. Zog man sie ihm ab, würde man noch zwanzig weitere darunter finden. Der Mann war buchstäblich gepanzert.
    Wieder nickte Madame Arana weise, als hätte sie erraten, was Elisabeth dachte. »Er hat viel in sich verschlossen, weil er außerstande und auch nicht bereit ist, sich mit dem auseinanderzusetzen, was er getan hat, während er unter dem Einfluss seines Vaters stand. Eine solche Verleugnung kann jedoch eitern wie eine unbehandelte Wunde und großes Leid verursachen. Die Geister lassen sich nicht gern ignorieren. Sie werden einen Weg finden, sich Gehör zu verschaffen.«
    Sie kam zu Elisabeth, und ihre Hände waren zärtlich wie die einer Liebenden, als sie den Rand des Spiegels streichelten. »Du hast mein Wahrsageglas gefunden. Der Spiegel zeigt mir Dinge, wenn ich ihn frage. Nicht immer, aber wenn er in der Stimmung dazu ist, dann schon.«
    »Sie meinen, er … lebt?« Für einen Moment hatte Elisabeth die Gegenwart des

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