Verlockendes Dunkel
warum.
»Ich will die Wahrheit hören, Brendan. Die ganze Wahrheit – nicht nur die Brocken, die du mir hingeworfen hast, sondern den ganzen stinkenden Haufen.«
»Auch dir einen schönen guten Abend!« Sein Haar noch feucht vom Bad, blickte Brendan vom Anziehen seiner Stiefel auf. Seine Schalkrawatte hing lose vor dem offenen Kragen seines Hemdes, und sein Jackett lag auf dem Bett bei seiner Weste. Ein Stückchen Papier klebte an seinem Kinn, wo er sich beim Rasieren geschnitten hatte.
So lächerlich es klang, es war keineswegs sein Blick, der golden und wachsam wie der eines Luchses war, was Elisabeth so heiß erröten ließ. Und auch nicht das beeindruckende Spiel seiner Muskeln war es, was ihren Magen kribbeln ließ. Nicht einmal das gefährlich langsame Lächeln, das die kleinen Sonnenfältchen in seinen Augenwinkeln kräuselte, war der Grund dafür, dass ihr Herz zu rasen begann.
Nein, es war dieses verflixte Stück Papier an seinem Kinn. Weil es der Beweis seiner Verwundbarkeit war. Seiner Menschlichkeit .
Und natürlich war es nur ihre dumme, selbstzerstörerische Verliebtheit, die ihr weiche Knie bescherte.
»Beantworte meine Frage!«, fuhr sie ihn trotzdem an. »Ausnahmsweise mal.«
Er ließ den Stiefel krachend auf den Boden fallen, und die Fältchen um seine Mundwinkel vertieften sich, während sein Blick etwas Zurückhaltendes bekam.
»Ich dachte, es handelte sich nur darum, deinen verdammten Stein sicher zu verwahren, aber es geht um sehr viel mehr als das, nicht wahr?«, fragte Elisabeth empört. »Und diesmal will ich weder Ausflüchte noch flotte Sprüche von dir hören. Nur simple, klare Antworten.«
Brendan beugte sich vor, um den anderen Stiefel anzuziehen. Dann straffte er sich langsam und hielt die Hände mit den Innenflächen nach oben, wie um anzudeuten, dass er nichts zu verbergen hatte.
»Helena sagt, du würdest dich als Köder zur Verfügung stellen, um Máelodor aus seinem Versteck zu locken«, beharrte Elisabeth.
Brendan versteifte sich, und Kälte legte sich wie ein Messer zwischen sie, als er sich wortlos wieder daranmachte, sich anzukleiden.
Doch Elisabeth hatte sich zu weit vorgewagt, um jetzt aufzugeben. Eine bessere Chance würde sie nie bekommen. Brendan würde sich nicht noch einmal in die Enge treiben lassen. »Du hast mir erzählt, dein Vater und Máelodor hätten zu den berüchtigten Neun gehört, und die Amhas-draoi hätten die Mitglieder der Gruppe hingerichtet. Aber du hast nie erwähnt, warum. Was hatten sie getan, Brendan?« Sie schluckte. »Was hast du getan?«
Das Stück Papier an seinem Kinn hatte sich gelöst, und was auch immer sie für Verletzlichkeit gehalten hatte, war in den grimmigen Zügen eines Gesichts verschwunden, das wieder wie in Stein gemeißelt war. Die Ränder seiner Lippen waren weiß, seine Brauen zusammengezogen, und seine Augen glimmten.
Ein Mann wie ein Fremder, der sie ängstigte mit dieser konzentrierten Heftigkeit, die er ausstrahlte wie Sand die Sonnenhitze, und der trotz allem die gleichen Gefühle und Sehnsüchte in ihr weckte wie der Brendan, den sie kannte.
»Lissa …« Seine Stimme war heiser, als nähme er sich mit letzter Kraft zusammen.
»Nenn mich nicht so!« Sie holte zitternd Luft. »Sag mir, dass Helena gelogen hat, und ich werde dir glauben, doch ich will die Wahrheit von dir hören.«
Als hätte sie einen Nerv berührt, loderte das Glimmen in seinen Augen auf wie Öl auf Feuer.
»Mist, verdammter!« Mit einem angewiderten Stöhnen wandte er sich ab. »Ist die Wahrheit denn nicht mehr als offensichtlich? Sie hat dir wochenlang buchstäblich ins Gesicht gestarrt. Vater verbrachte sein Leben mit der Suche nach Relikten aus der Vergangenheit, aber für ihn waren sie nur Artefakte, Museumstücke. Ich war es, der den verdammten Plan ausheckte, den Sh’vad Tual zu benutzen, um die Schutzzauber um Artus’ Grab zu brechen. Ich enträtselte den Zauber, der den König als Domnuathi wiederauferstehen lassen würde. Und als die Gewalt eskalierte und das Sterben begann, war es mir egal. Solange ich nur die verbotene Magie der Unsichtbaren erforschen konnte, soviel ich wollte, kümmerte es mich nicht, wer dabei zu Schaden kam. Ich verschloss einfach die Augen vor allem anderen. Verstehst du jetzt, Elisabeth?«
Sie schüttelte den Kopf, als sie den Abscheu in seiner Stimme hörte. Elisabeth glaubte ihm kein Wort. Es war nicht Brendan, der da sprach. Egal, wie viele Sünden er begangen hatte, dies war nicht der Mann, der
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