Verlockung der Leidenschaft: Roman (German Edition)
nicht vor den Augen einer Lady ausziehen.«
»Mein Zartgefühl ist nicht so empfindlich, schon vergessen?«
Der Hinweis auf ihre angeblich befleckte Vergangenheit ließ ihn erröten. Aber ihre Argumentation half. Er reichte ihr seine Krawatte, ehe er aus dem Mantel schlüpfte und sein Hemd aufknöpfte.
Sie fürchtete sich fast davor, die Verletzung zu inspizieren. Es schien, als sei die Vermutung richtig, dass man Jonathan angeschossen hatte. Außer der Schulterwunde entdeckte sie jetzt ein gut sichtbares Loch in dem blutgetränkten Stoff dicht an seiner Hüfte. Als habe etwas an der Stelle den Stoff zerfetzt. Sie zupfte behutsam das Hemd aus seiner Hose und drückte die Krawatte auf etwas, das wie eine ziemlich hässliche und gezackte Wunde an der Flanke aussah. Ihr Magen verkrampfte sich, als sie das zerfetzte Fleisch sah.
Was genau vor sich gegangen war, wusste sie nicht. Aber eines wusste sie mit absoluter Bestimmtheit: Er brauchte schleunigst Hilfe.
»Jonathan.« Es war nur ein hilfloses Flüstern. Sie hatte absolut keine Ahnung, wie sie ihm helfen konnte, außer indem sie versuchte, das Blut zu stoppen, das immer noch aus seinen Wunden strömte. Tränen, von denen sie nicht wusste, dass sie sie vergoss, fielen auf sein aschfahles Gesicht und zersprangen zu winzigen Kristalltropfen, während sie eindringlich auf ihn einsprach.
Er hörte sie, und das gab ihr neuen Mut. Kurz öffnete er die Augen, doch dann schloss er sie fast augenblicklich wieder. Alles, was sie im Moment tun konnte, war, seine schlaffe Hand festzuhalten, weiter neben ihm im Gras zu knien und inständig um sein Leben zu beten.
Sie waren erst ungefähr die halbe Einfahrt hinaufgeritten, als Cecily bemerkte, dass irgendwas absolut nicht richtig war. Es war nicht der Umstand, dass sich der schmerzhafte Knoten in ihrem Bauch noch mehr zusammenzog, denn das war auf dem Ritt zurück vom Dorf ohnehin ständig der Fall gewesen. Nein, es war vielmehr das Dutzend Gäste, das sich in der Nähe des Hauses versammelt hatte. Unter ihnen auch ihre Großmutter, die plötzlich aus der Menge hervortrat und, was für sie absolut außergewöhnlich und einmalig war, ihnen entgegenkam, statt zu warten, bis sie zu ihr kamen.
Jeder starrte sie an, und alle Gespräche verstummten.
»James«, sagte sie, und das Beben ihrer Stimme musste wohl jeder hören.
»Ich sehe es auch«, erwiderte er grimmig. Er trieb sein Pferd zu einem leichten Galopp. »Es muss etwas passiert sein. Wir sollten uns beeilen.«
Die Witwe des Herzogs stand resolut neben dem großen Springbrunnen, als sie schließlich das Haus erreichten. Sie war klein und gewohnt majestätisch in ihrem grauen Kleid, das Gesicht wirkte sehr ernst. Cecily hatte diesen Ausdruck bisher nur einmal gesehen. Als ihre Großmutter Roderick, Eleanor und ihr die schreckliche Neuigkeit mitgeteilt hatte, dass ihre Mutter, wie sie es ausdrückte, »verschieden« sei.
Ein Kälteschauer rann durch Cecilys Körper, und sie hielt sich nicht damit auf zu warten, bis James ihr aus dem Sattel half. Sie rutschte vom Pferderücken. »Großmama?«
»Es hat einen schrecklichen Unfall gegeben.«
James, der der Duchess unter normalen Umständen mehr Ehrerbietung erwiesen hätte, fragte mit harscher Stimme: »Was für ein Unfall? Wo ist Jon?«
»Mrs Hawkins ist im Moment bei ihm, aber ich habe auch nach dem Arzt schicken lassen. Ich versichere Euch, Mr Bourne, es wird alles getan, um ihn zu retten.« Ihre Großmutter verstummte und vermied es, Cecily anzusehen. »Lord Augustine ist ernsthaft verletzt worden, fürchte ich.«
Um ihn zu retten. Das klang dramatisch, und wenn sie bedachte, mit welcher Grabesstimme ihre Großmutter die Nachricht überbrachte, hatte die eisige Angst, die sich um Cecilys Herz schloss, durchaus ihre Berechtigung. Die Zunge wollte ihr kaum gehorchen, als sie stotterte: »Ich muss zu ihm.«
Wenn ihre Großmutter etwas darauf erwiderte, hörte sie es nicht, sie schob sich an ihr vorbei und lief ins Haus. Sie eilte die Treppen hinauf und ignorierte die mitfühlenden Blicke der Gäste, die sich vor dem Gebäude versammelt hatten. Wäre James nicht an ihrer Seite geblieben und hätte stützend ihren Ellbogen gehalten, wäre sie vielleicht gestolpert. Er wirkte ebenso erschüttert wie sie, und sie wechselten kein Wort. Während ihres erfolglosen Ritts ins Dorf hatten sie sich einander anvertraut, deshalb wusste sie, dass auch James sich den ganzen Tag schon mit einer dunklen Vorahnung herumschlug. Jetzt gab
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