Verlockung der Leidenschaft: Roman (German Edition)
es dazu wohl nichts mehr zu sagen.
Zwei von Jonathans Schwestern warteten im oberen Stockwerk vor der Tür zu seinem Gemach, und es half ihr nicht gerade, deren verheulte Gesichter zu sehen. Als sie James erblickte, sprang Carole, die Jüngste, auf und rannte ihm entgegen. Er nahm sie fest in den Arm.
Was auch passiert war, musste wirklich schrecklich sein. Cecily öffnete die Tür ohne anzuklopfen und betrat das Schlafzimmer. Die elegante Einrichtung des Raums nahm sie nicht wahr; ihr Blick richtete sich nur auf den großen Körper, der auf dem Bett lag.
Jonathan. Ihr Jonathan, obwohl er im Moment nicht besonders viel Ähnlichkeit mit dem unglaublich attraktiven Liebhaber hatte, an den sie sich erinnerte. Seine nackte Brust war mit blutigen Fetzen bedeckt, und seine Haut war nicht mehr bronzefarben, sondern hatte einen beinahe grauen Ton. Die Gesichtshälfte, die sie sehen konnte, war von einem riesigen Bluterguss verunstaltet, der von seinem Haaransatz bis zum Wangenknochen reichte. Seine Züge waren vom Schmerz verzerrt. Sie erkannte, dass er nicht bei Bewusstsein war, denn sein Körper lag schlaff und reglos da.
Lady Lillian saß neben dem Bett und blickte auf, als Cecily eintrat. Sie war gefasst und ruhig, doch auch ihr Gesicht war gespenstisch fahl. Sie sagte tonlos: »Bitte nehmt es mir nicht übel, aber ich habe gehofft, Ihr seid der Arzt.«
»Das habe ich auch gehofft.« Die Haushälterin, Mrs Hawkins, wrang ein blutiges Stück Stoff aus. »Ich kann wohl hier und da einen Kratzer versorgen, aber das hier übersteigt meine Fähigkeiten.« Dann wurde ihr Gesicht ganz weich. »Aber macht Euch keine Sorgen um Euren jungen Mann, Mylady. Er ist so stark wie ein Ochse.«
Vielleicht war er das gewesen. Aber im Moment sah er nicht so aus.
Cecilys Hände zitterten, und sie ballte die Hände zu Fäusten, damit dieses verfluchte Zittern aufhörte. Sie trat ans Bett. Voller Angst, ohne Hoffnung und von unendlich vielen Gefühlen übermannt. Sein Haar wirkte extrem schwarz auf dem Weiß des Kissens. Sie beugte sich zu ihm herab und berührte sein seidiges Haar. Es war ihr egal, dass diese Geste vielleicht zu intim war, wenngleich inzwischen auch James das Zimmer betreten hatte, in dem eine gedrückte Stimmung herrschte. Er stand still hinter ihr, und sowohl Lily als auch Mrs Hawkins beobachteten sie.
»Was genau ist passiert?«, verlangte James leise zu wissen. Als könnte es die Verletzungen schlimmer machen, wenn er laut sprach. »Die Duchess meinte, es sei ein Unfall gewesen.«
Lily antwortete: »Er wurde angeschossen. Zweimal. Das war definitiv kein Unfall.«
Cecily erstarrte. Ihre Finger strichen eine Strähne aus Jonathans Stirn.
»Angeschossen?« James’ ungläubige Frage spiegelte ihr eigenes Entsetzen und ihre Wut. »Aber Lily, von wem denn?«
»Das wissen wir nicht.« Die Stimme von Jonathans Schwester klang trostlos.
»Hast du eine Ahnung, warum jemand auf ihn schießt?«
Roderick. Cecilys erster Gedanke war, ihr Bruder könnte aus einem Gefühl des Zorns heraus so gehandelt haben, weil er eine Indiskretion beobachtet hatte. Aber sie verwarf diesen Gedanken im selben Moment wieder, und zwar aus zwei Gründen: zum einen wegen des Blutergusses an Jonathans Wange und zum anderen, weil man zweimal auf ihn geschossen hatte. Ihr Bruder würde niemals ein zweites Mal auf einen verwundeten Mann schießen, falls – und das bezweifelte sie sehr – er überhaupt ihren Verlobten hätte schlagen können. Im Übrigen hatte er keinen Grund, einen Mann zum Duell zu fordern, der bereits den Wunsch geäußert hatte, sie zu heiraten. Zumal ihr Vater diese Verbindung billigte.
Nein, er würde so etwas nicht tun.
Aber wer war es dann?
»Wo war Drury?« James’ Stimme klang angespannt, und selbst in ihrem elenden Zustand bemerkte Cecily, dass in dieser Frage eine Anschuldigung mitschwang.
Der Viscount war ebenso unschuldig wie Roderick. Aber ehe Cecily das sagen konnte, traf der Arzt endlich ein und unterbrach das Gespräch. Der Mann war klein, elegant und adrett gekleidet, er betrat den Raum, warf nur einen Blick auf den Patienten und sagte: »Hinaus. Ihr müsst alle gehen außer Mrs Hawkins.«
Hätte sie Dr. Gilchrist nicht bereits gekannt, seit sie ein kleines Mädchen war, hätte sie wohl gehorcht. Aber Cecily straffte sich. »Nein. Lord Augustine und ich werden bald heiraten. Ich will helfen, und sei es, dass ich nur Handtücher halte.«
Der Arzt blickte sie an, bemerkte ihre entschlossene Miene und
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