Verlockung der Leidenschaft: Roman (German Edition)
schon gar nicht für diesen Besucher. Sie fuhr mit der Bürste durch ihr Haar und steckte es zu einem nachlässigen Knoten auf. Ein letztes Mal überprüfte sie ihr Aussehen im Spiegel, damit es wenigstens annehmbar war, und erinnerte sich zugleich ironisch daran, dass ihr Besucher sich nichts daraus machte, ob sie gut aussah oder nicht. Das lag nicht daran, dass sie nicht hübsch war. Sie hatte einen zarten Knochenbau, kastanienrote Haare, blaue Augen und eine klare, makellose Haut. Aber das war egal. Einst hatte ihr Herz jedes Mal einen aufgeregten Satz gemacht, wenn er nach ihr fragte. Aber jetzt? Wahrlich, schon damals hatte er sich nicht besonders um ihr Aussehen geschert. Ob sie gut oder weniger gut aussah, hatte keine Rolle gespielt. Sie waren Freunde geworden, nicht mehr und nicht weniger. Allerdings hatte sie seine Intentionen damals gründlich falsch verstanden.
Was wollte Arthur Kerr, der in ihren Kreisen auch als Lord Sebring bekannt war, zu so später Stunde von ihr?
Es gab nur einen Weg, das herauszufinden.
Sie atmete ein letztes Mal tief durch und ging ganz langsam nach unten.
Er wartete in einem der kleineren, privaten Salons, weil sie darum gebeten hatte, ihn dorthin zu führen. Der Raum war nicht so überwältigend groß und nicht in so unheimliche Schatten getaucht wie der große, offizielle Salon, in dem Gäste normalerweise empfangen wurden. Das leise Flüstern des Regens an den Fenstern ergab ein beruhigendes Hintergrundgeräusch. Die Zofe hatte ihrer Bitte Folge geleistet und eine Flasche Claret nebst zwei Gläsern auf einem Tablett gebracht. Außerdem brannten einige Lampen im Raum. Der Raum wirkte in dem gedämpften Licht mit den Brokatsofas und den kleinen Sitzgruppen recht heimelig. Sie blieb in der Tür stehen und bewunderte nicht zum ersten Mal die klare Linie von Arthurs Profil. Ihn zu sehen, versetzte ihr einen Stich. Er stand mitten im Raum und starrte auf eines der Porträts über dem kalten Kamin. Er schien mit den Gedanken weit weg zu sein, und seine Schultern wirkten verkrampft.
Sein Anblick war ihr schmerzlich vertraut; dennoch war er für sie wie eine Gestalt in einem fernen Traum.
Einst hatte sie ihn geliebt. Es war keine leichte, träumerische Liebe gewesen, sondern eine große, ohne Vorbehalte und mit all der Leidenschaft, zu der eine junge Frau fähig war.
Aber sie hatte ihn nicht gekannt. Nie war sie zu dem wahren Mann vorgedrungen, der er war, das ließ sie heute noch an ihrer eigenen Urteilsfähigkeit zweifeln. Außerdem glaubte sie, dass alle Männer nicht ehrlich zu ihr waren. Selbst wenn sie in den Augen der besseren Gesellschaft nicht in Ungnade gefallen wäre, würde ihr doch der Gedanke widerstreben, sich ein zweites Mal auf eine Romanze einzulassen. Das Dasein als alte Jungfer hatte auch seine Vorzüge.
Seit seiner Hochzeit hatte sie ihn nicht mehr gesehen, weshalb es sie einigen Mut kostete, die Schultern zu straffen, den Raum zu betreten und ihn mit ruhiger Stimme anzusprechen. »Du siehst gut aus, Arthur.«
Er drehte sich um. Sein Blick erfasste ihr lässiges Kleid, und ein nur allzu vertrautes Lächeln umspielte seinen fein modellierten Mund. »Das Kompliment kann ich nur zurückgeben, Lily. Du bist so schön wie eh und je.«
Sagte er die Wahrheit? Schwer zu sagen. Eine Vielzahl von Lügen lag zwischen ihnen. Sie hatte jedenfalls nicht die Wahrheit gesagt. Er sah müde aus. Vielleicht sogar ein bisschen ausgezehrt. Dennoch war er immer noch unglaublich attraktiv. Natürlich war er das. Nicht ganz so groß wie Jonathan, aber von guter Statur, mit ebenmäßigen Gesichtszügen und ausdrucksstarken, braunen Augen. Sein Haar war wie früher etwas zu lang, seine Kleidung zu jeder Zeit absolut makellos. Er kleidete sich stets nach der neusten Mode und trug heute einen dunklen Mantel, eine bestickte Weste, maßgeschneiderte Hosen und Stiefel. Sein Halstuch war ein Hauch aus Leinen, besetzt mit zarter Spitze, ein Rubinanstecker ruhte in den schneeweißen Falten und war für sie der Inbegriff seiner Eleganz. Irgendwie war es vermutlich nicht besonders glücklich, aber in seiner Nähe empfand sie immer noch ein leises Sehnen, obwohl sie sich eigentlich sicher gewesen war, sie habe die Zeit hinter sich, da sie bereute, was geschehen war.
Doch diese Ereignisse hingen ihr noch immer nach. Ihre katastrophale Flucht und das, was zwischen ihnen in der Nacht im Gasthof passiert war. Egal, was Jonathan dachte, für sie stand außer Frage, dass sie in dieser Nacht ihre
Weitere Kostenlose Bücher