Verlockung der Leidenschaft: Roman (German Edition)
überlegte sie, ob sie rasch zu ihrer eigenen Suite laufen sollte. Aber dann siegte ihre Loyalität. Eleanor wusste nur zu gut, dass ihr Bruder sich in angetrunkenem Zustand vielleicht zu einer Dummheit verleiten ließ, die von männlichem Stolz befeuert wurde, wenn er mitbekam, was sich hinter der verschlossenen Tür abspielte.
Jonathan Bourne brauchte nicht von ihr beschützt werden, denn sie war überzeugt, dass er durchaus in der Lage war, auf sich selbst aufzupassen. Außerdem war sein Aufenthalt im herzoglichen Stadthaus – wenngleich es skandalös und unorthodox war – für sie keine Überraschung, wenn sie länger darüber nachdachte. Trotzdem bestand eine gewisse Gefahr, denn sie wusste, dass Roderick daran Anstoß nehmen würde.
Das entspräche zumindest dem gängigen Ehrgefühl eines Gentlemans.
Wenn man sie fragte, waren Augustine und Cecily nicht das erste Paar, das diesen Weg einschlug. Wenn sie wirklich füreinander bestimmt waren und nicht abwarten konnten, ehe sie das Bett miteinander teilten … Nun, dann war das für sie in Ordnung. In diesem Fall schien es ihr das Beste, einer Konfrontation der beiden Männer möglichst aus dem Weg zu gehen.
Dass der Earl ihren Bruder im Kampf leicht besiegen konnte, ob er nun mit Fäusten oder mit Waffen geführt wurde, war schließlich nicht allzu schwer zu erraten.
Rasch eilte sie ihrem Bruder entgegen und versuchte, ein möglichst müdes Gesicht zu machen. Als er den oberen Treppenabsatz erreichte, murmelte sie: »Roddy?«
»Oh … tut mir leid.« Er war offensichtlich leicht angetrunken, denn er stolperte, als er die letzte Stufe erklomm. »Hab dich hier nicht erwartet, Elle.«
»Ich konnte nicht schlafen.« Sie lächelte.
»Bin grad erst nach Hause gekommen«, erwiderte er. Sein Lächeln war etwas schief.
Als könnte sie das nicht sehen! Seine Krawatte war gelockert, und der süßliche Geruch nach Parfüm und Brandy umgab ihn. Eleanor hakte sich bei ihm unter. »Komm, wir suchen uns noch was zu essen, hm? Wir überfallen die Küche, wie wir es früher getan haben, als wir noch jung waren. Meinst du, die Köchin hat noch ein paar Fleischpastetchen für uns?«
»Es gab zum Dinner keine Fleischpastetchen«, protestierte er. Aber er ließ sich von ihr zur Treppe ziehen.
»Sie macht immer welche.« Das stimmte. Die Köchin, die prächtige Sieben-Gänge-Menüs servieren konnte, stammte aus Wales, und sie liebte Fleischpastetchen. Geräucherter Lachs, Ente in Kirschsauce und all die anderen modernen Gerichte, die bei einem Duke serviert werden sollten, beherrschte sie natürlich, doch am liebsten machte sie eine sehr köstliche, saftige Fleischpastete.
Wenn sie nach unten gingen und sich in die Küche schlichen, um ein paar dieser leckeren, mit Blätterteig umhüllten Köstlichkeiten zu vertilgen, gab das Lord Augustine vielleicht genug Zeit, um unentdeckt zu entkommen. Am nächsten Morgen wollte Eleanor sich bei ihrer Schwester nicht nur entschuldigen und ihr alles gestehen, sondern Cecily auch einen ernsten Vortrag über die Vorzüge sittsamen Verhaltens halten.
»Ich könnte wohl ein bisschen was zu essen brauchen«, gab ihr Bruder zu. Sein blondes Haar war in Unordnung geraten, seine Worte klangen leicht schleppend. »Hilft morgen gegen den Kater, wenn du verstehst.«
»Ich werde dir wohl glauben müssen. Anständige junge Frauen betrinken sich nämlich nicht«, erwiderte sie brav. Doch sie konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
»Du weißt eine Menge«, murmelte ihr Bruder und grinste ebenfalls. »Ist Ci noch wach? Vielleicht möchte sie uns beglei…«
»Nein, sie schläft tief und fest«, sagte Eleanor fest. Es war ihr oberstes Ziel, Roderick am Leben zu erhalten, weshalb die Lüge durchaus gerechtfertigt war. Er war nicht so betrunken, dass er nicht die richtigen Schlüsse ziehen würde, wenn er eine männliche Stimme hinter der verschlossenen Tür hörte. Eleanor sagte sich, dass ihre Schwester ohnehin schon in Kürze auch vor aller Welt mit dem Earl verlobt wäre – ob er nun ein Wilder war oder nicht, so viel Ehrgefühl gestand sie ihm zu. Außerdem hatte Eleanor beim Dinner am frühen Abend nur wenige Bissen zu sich genommen und war jetzt überraschend hungrig. Sie ging voran, und Roderick trottete neben ihr her. Sie stiegen die dunkle Treppe hinunter und durchquerten die Eingangshalle. Durch den Dienstbotenzugang betraten sie die Untiefen des Hauses und erreichten schließlich die Küche. Als Kind hatte sie es immer geliebt, sich
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