Verlockung der Nacht
Ball führen. »Bitte komm mit«, sagte er.
Sie sah mich an. Ich nickte und zwang mich zu einem Lächeln. »Er bringt dich zu den anderen, und wir sehen uns bald wieder.«
Mit offensichtlichem Unbehagen hakte Sarah sich bei Spade unter. Spade nickte Bones und mir zum Abschied noch einmal zu, dann hob er Sarah hoch und flog mit ihr in jener typischen Dracula-Manier davon, die dem echten Vlad Tepesch so zuwider war. Man hörte noch Sarahs verhallenden Aufschrei, bis ihre Stimme sich gänzlich in der Dunkelheit verlor.
Ich wandte mich leise lächelnd Bones zu. »Beam me up, Scotty.«
Er stieß ein leises amüsiertes Schnauben aus. »Dazu brauchst du mich nicht. Du kannst dich jetzt selbst beamen.«
»Ich weiß«, antwortete ich und umfing ihn mit den Armen. »Aber so fliege ich lieber.«
Seine Arme umschlossen mich, stark, fest, einfach nur herrlich. »Ich auch, Kätzchen.«
Viel später sagte mir ein vernehmliches Knarzen auf der Veranda, dass jemand vor dem Haus war. Sicher Kramer. Ich blieb auf dem Boden des Wohnzimmers sitzen und überlegte, ob ich ihn ignorieren sollte. Bones würde vielleicht aufwachen, wenn ich mich jetzt regte, und er war doch gerade erst eingeschlafen. Ich war an der Reihe, den Salbei am Brennen zu halten, während die anderen schliefen. Kramer hatte schon Äste und Bretter nach den Räuchergefäßen geworfen, um sie umzustoßen, damit das Haus in Brand geriet oder zumindest der abwehrende Rauch versiegte. Das wollten wir nicht noch einmal riskieren und lösten uns deshalb gegenseitig bei der Salbei-Wache ab.
Wäre es nach Bones gegangen, hätten er und Ian die Schichten unter sich aufgeteilt, aber das hätte ich unfair gefunden. Meine Mutter konnte nichts dafür, dass sie bei Sonnenaufgang müde wurde, aber ich konnte ebenso lange wach bleiben wie die beiden Männer. Wir schliefen allesamt im Wohnzimmer auf vier Matratzen, die wir aus den Schlafzimmern geholt hatten. Das war zwar nicht komfortabel – und definitiv unromantisch –, aber allemal sicherer. Falls der Wachhabende doch einmal einschlief und Kramer sich irgendwie am Salbei vorbeischlich, um sich die schwächste Person zu schnappen, würde er dabei alle anderen aufwecken. Wir schliefen schließlich dicht beieinander.
Wieder knarzten die Dielen, diesmal aber hörte ich gleich darauf unverständliches Geflüster. Ich runzelte die Stirn. Das war untypisch für Kramer. Normalerweise veranstaltete er einen Riesenlärm und schimpfte dabei wie ein Rohrspatz. Er wusste auch, wann wir schliefen, und besuchte uns oft im Morgengrauen, weil es uns da am meisten nervte. Aber Flüstern? Ich wurde so neugierig, dass ich doch aufstand. Vielleicht Fabian oder Elisabeth, die wegen des vielen Salbeis nicht ins Haus konnten, uns aber aus Rücksicht nicht aufwecken wollten.
So leise wie möglich schlich ich mich zur Tür. Die anderen mussten ja nicht auch noch wach werden und sich Gedanken über das seltsame Geflüster machen. Bones regte sich, aber seine Augen blieben geschlossen. Meine Mutter schlief wie ein Stein, Tyler schnarchte ungerührt weiter, und auch Ian schlummerte reglos. Ich konnte nicht umhin, den Kopf zu schütteln, als ich ihn so sah. Jeden Morgen schlief er wie ein Baby – na ja, ein Baby, das ständig die Hand in der Hose hatte. Was bewies, dass auch ein schlechtes Gewissen ein sanftes Ruhekissen sein konnte.
Vorsichtig, um die anderen nicht zu wecken, öffnete ich die Haustür. Zu meiner Überraschung schwebte dann doch Kramer ganz hinten auf der Veranda. Als er mich sah, ließ er eine der losen Dielen los, um mich mit einer fast schon freundlichen Geste näher zu winken.
Klar doch, ich komme gleich rüber, ganz ohne mir erst Salbei zu holen , dachte ich. Glaubte er, er hätte mir das Hirn zermatscht, als er das Auto auf mich geworfen hatte?
Ich zeigte ihm den Stinkefinger, griff mir zwei der Räuchergefäße und beschloss, ein Stück von der Tür wegzugehen, damit die anderen noch ein paar Augenblicke schlafen konnten. Wenn alles normal verlief, würde er noch früh genug losschimpfen und das Haus mit Brettern bewerfen.
Der Inquisitor reagierte nicht auf meine beleidigende Geste. Er wartete einfach stumm und reglos, während ich mich leise über die wackligen Überreste der Veranda zu ihm schlich. Die Tür ließ ich offen und entfernte mich auch nur gut zwei große Schritte von ihr.
»Schön, dich wiederzusehen«, sagte ich leise.
Der Blick seiner moosgrünen Augen maß mich von Kopf bis Fuß, aber nicht wie schon
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