Verlockung der Nacht
Wenigstens hinterließ das nur ein bisschen abgeplatzten Putz und keine Scherben. Ich fuhr herum und wandte mich dem Geist zu.
»Das war armselig«, höhnte ich. »Ich brauche nicht mal Salbei, um gegen dich zu bestehen. Du bist ja so ein Schwächling.«
Seine Züge verzerrten sich vor Wut, und er brach in einen deutschen Wortschwall aus. Das nahm ich zum Anlass, die Flucht zu ergreifen, und hetzte durch die Trauben von Menschen davon, die an diesem schönen Herbstabend ihren Vergnügungen nachgingen.
Ich war gerade an einem Outdoor-Sportlokal angekommen, als ich das Gefühl hatte, eine Abrissbirne in den Rücken zu bekommen. Komplett die Balance verlierend kippte ich nach vorn. Ich schaffte es, mich so weit zu drehen, dass ich einer Familie mit kleinen Kindern ausweichen konnte, und krachte in einen Tisch, an dem einige junge Männer bei Bier und Chicken Wings zusammensaßen. Der Tisch zerbarst unter der Wucht meines Aufpralls, sodass schaumige Flüssigkeit, Gläser und orangefarben marinierte Hähnchenteile auf mich niederprasselten. Die vier Jungs, die an dem Tisch gesessen hatten, starrten ungläubig auf mich hinunter, zwei von ihnen hielten noch ihr Essen in der Hand.
»Haben Sie ein Problem , Lady?«, keuchte einer.
Sie konnten natürlich nicht sehen, dass ein Geist mich gestoßen hatte, aber glaubten sie allen Ernstes, ich hätte aus purer Langeweile einen Kopfsprung in ihre Mitte gemacht? Vom Boden aus konnte ich Kramer kommen sehen, der immer mal wieder kurz unsichtbar war, wenn er durch jemanden hindurchglitt, der ihm im Weg stand. Ich warf einen Blick auf die vier Jungs und versuchte angestrengt, mir etwas einfallen zu lassen, was sie und die anderen Gäste verscheuchen würde, bevor der Geist bei mir war.
»Ich habe meine Tage und will mich aufspielen«, improvisierte ich, als mir wieder einfiel, was Graham in meinem alten Haus Beleidigendes über mich gedacht hatte. »Wenn ihr also weiterleben wollt, macht euch vom Acker!«
Damit schob ich den zertrümmerten Tisch auf sie zu, aber so langsam, dass sie ausweichen konnten. Sie sprangen auf und wichen zurück. Zum Glück waren sie nicht die Einzigen. Der Sitzbereich leerte sich schnell.
»Was für eine Irre«, hörte ich noch, aber meine Aufmerksamkeit galt ganz dem Geist. Er war jetzt nur noch wenige Meter entfernt und hatte den Mund zu einem Fauchen geöffnet. Ich musste ihn von den Leuten weglotsen, bevor er Lust bekam, einfach ein paar kaltzumachen.
»Komm und hol mich, Schlappschwanz!«, rief ich und schwang mich über eine Mauer. Dahinter befand sich ein weniger überlaufener Bereich mit Läden und an den Straßenrändern geparkten Autos, deren Besitzer nirgends zu sehen waren. Statt noch einmal einen Blick über die Schulter zu werfen, um zu sehen, ob Kramer mir folgte, rannte ich einfach Beleidigungen brüllend weiter. »Ich weiß ja, dass du dir diese Sache mit den Hexen, die angeblich Männer ihres besten Stücks berauben, nur hast einfallen lassen, weil du selber keinen hochkriegst, es sei denn …«
Etwas krachte mir in den Rücken, und Schmerz durchzuckte mich. Wieder verlor ich die Balance. Am Ende rutschte ich mit dem Gesicht nach unten ein Stück weit über den Gehweg, bis mein Rücken wieder so weit geheilt war, dass ich mich aufrappeln konnte. Und schon traf mich ein unsichtbarer Dampfhammer in den Magen, dass ich in die Knie ging.
Jemand kreischte. Wer es war, konnte ich nicht erkennen, weil ich nur verschwommen sehen konnte und alles in Rot getaucht war. Ich spuckte Blut und hörte selbst bei dieser leichten Kieferbewegung ein widerliches Knirschen. Mein Gesicht brannte, als stünde es in Flammen, aber ich rappelte mich abermals auf und machte mich auf den unvermeidlichen Schlag gefasst, der jetzt kommen würde. Du musst weg von den Leuten, weg von den Leuten, sagte ich mir immer wieder vor. Was Kramer mir auch antat, ich würde mich davon erholen. Sie nicht.
Ein paar Meter weit kam ich, obwohl ich mit dem Blut in den Augen kaum sehen konnte, wohin ich lief, aber immerhin spürte ich, wie meine Gesichtsverletzungen heilten. Dann hörte ich ein ominöses metallisches Dröhnen, und gleißender Schmerz explodierte in mir. Ich sah Lichter blinken, hörte, wie Metall kreischte und Glas zerbarst. Jetzt konnte ich endgültig nichts mehr sehen, aber der Benzingeruch und das enorme Gewicht, das auf mir lastete, brachten mir zu Bewusstsein, was passiert war.
Dieser verfickte Geist hatte ein Auto auf mich gewälzt!
Ich hatte keine
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