Verlockung der Nacht
Falle hindurchpassten. Blieb zu hoffen, dass wenigstens die Tunnel, die zum Hauptkanal führten, groß genug waren und nicht auch noch erweitert werden mussten.
Fünf Stunden und zwanzig Minuten später beäugte Ian die fertige, vom Fluss umspülte Falle und lachte.
»Sieht ja aus wie ein riesiger Kessel. Echt abgefahren, Gevatterin.«
Ich wischte mir kaltes Brackwasser vom Gesicht, bevor ich antwortete. Die anderen warteten im Tunnel weiter oben, aber ich wollte noch einmal den Boden der Falle überprüfen, um sicherzustellen, dass er auch wirklich stabil war. Ja, nennt mich paranoid. Wenn Kramer morgen in der Falle saß, konnten wir das Loch, das wir als Eingang in die Kanalwand geschlagen hatten, und das Fundament der Falle noch einmal verstärken, damit auch wirklich nichts durch Erosion beschädigt wurde, aber fürs Erste sah es aus, als würde alles halten.
»Kramer ist doch ganz besessen von Hexerei, da wollte ich, dass er sich gleich zu Hause fühlt. Soll keiner sagen, ich wäre nicht mitfühlend.«
Meiner zur Schau gestellten Coolness und Erschöpfung zum Trotz hätte ich am liebsten einen Jubelschrei ausgestoßen. Wir hatten es geschafft! Die Falle war sicher, das Flusswasser umspülte sie, und uns blieb sogar noch Zeit. Nicht viel zwar, aber ich wollte jetzt nicht knickrig werden. Ich gab Ian sogar einen dicken Schmatzer, weil er so fleißig und schnell gearbeitet hatte. Er war zwar ein arroganter, nerviger Perversling, aber was er sich in den Kopf gesetzt hatte, das erreichte er auch. Bones’ und Spades Kraft und Eifer hatte ich nie angezweifelt, aber Ian überraschte mich.
»Hauen wir ab, bevor der Geist hierher findet«, meinte Spade und verschwand im Tunnel. Seine Stimme erreichte mich noch. »Denise ist bestimmt erleichtert, wenn sie hört, dass wir fertig sind.«
Ich kletterte die Tunnelwand hinauf und ergriff die Hand, die Bones mir auf dem letzten Meter reichte. »Du bist mit dem Auto da, oder?«, rief ich Spade nach und hoffte, er würde mit Ja antworten.
»Natürlich«, hörte ich ihn. »Ich wusste doch, dass niemand hier seine Energie verschwenden will, um zurückzufliegen, und morgen werden wir unsere ganze Kraft brauchen, um gegen Kramer vorzugehen.«
Wie wahr. Ich besah mir den feuchten Schlick, mit dem wir bedeckt waren, und warf Bones einen zerknirschten Blick zu. »Wir verdrecken schon wieder Spades Sachen.«
Bones grinste. »Keine Sorge, ist bestimmt ein Leihwagen.«
Spade setzte sich ans Steuer, Ian nahm neben ihm Platz, und Bones und ich setzten uns auf die Rückbank. Ich war so froh, mich an ihn lehnen und die Augen schließen zu können, dass ich mich nicht daran störte, dass ich fror, nass und schmutzig war. Spade schaltete die Heizung an, und so dauerte es nicht lang, bis behagliche Wärme sich ausbreitete. Nach zwei Wochen in einem Haus ohne Strom, in dem der Wind durch alle Ritzen der vernagelten Fenster fuhr, fand ich die Wärme einfach herrlich. Ich entspannte mich sogar so weit, dass ich wegdämmerte, denn das Nächste, was ich mitbekam, war, dass der Wagen ruckartig bremste und die Landschaft draußen sich völlig verändert hatte.
Wir waren auf einem schmalen Schotterweg, der zu einem hübschen, zweistöckigen, weiß-blauen Haus führte. Dahinter erstreckten sich kilometerweit Wiesen. Ein leerer Pferdestall stand rechts ein wenig abseits des Hauses. Es war wunderbar ruhig, und in der Nähe waren keine anderen Häuser zu sehen, sodass mich auch keine lärmenden Gedanken von Nachbarn stören konnten.
»Himmel, nein«, flüsterte Spade, als auch mir klar wurde: Es hatte absolut nichts Gutes zu bedeuten, dass ich niemanden hörte. Im Haus hätten vier Leute sein sollen. Doch es herrschte beklemmende Stille.
Spade öffnete die Wagentür nicht – er schlug so heftig dagegen, dass sie mit einem metallischen Knirschen abriss und weggeschleudert wurde. Dann verschwand er blitzschnell in Richtung Haus. Wir anderen stiegen ebenfalls aus, aber nicht so hastig, während Ian die Automatik auf Parken stellte, damit das Auto nicht wegrollte. Ich hatte das Gefühl, das Blut in meinen Adern hätte sich in Eiswasser verwandelt. Ich rannte auf das Haus zu und wollte es nicht glauben. Nicht Denise. Bitte nicht . Sie war meine beste Freundin. Wäre Lisa, Sarah und Francine etwas zugestoßen, wäre das schlimm genug gewesen, aber wenn Denise …
Spade riss auch die Haustür aus den Angeln und verschwand nach drinnen. Lautes Bellen aus dem Obergeschoss machte es mir unmöglich,
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