Verlockung der Nacht
starrte die Stelle an, an der er gestanden hatte, und lächelte meinerseits.
Genau darauf zähle ich, Wichser.
32
Am dreißigsten Oktober verließen Ian, Bones und ich das ramponierte Farmhaus auf dem Luftweg, sobald die Nacht ihren schützenden Schleier über uns gesenkt hatte. Jeder trug ein großes, in Abdeckplane gehülltes Objekt. Meine Mutter und Tyler blieben zurück. Sie würden sich morgen Nachmittag auf konventionellere Art, per Taxi, zu Spade aufmachen. So konnte Kramer, wenn meine geborgten Kräfte nachgelassen hatten und er mich durch Konzentration allein nicht mehr aufspüren konnte, sie auf der Fahrt verfolgen. Für den Fall, dass der Geist mehr tun würde, als ihnen nachzuspüren, würden sie jede Menge Salbei mitnehmen, aber ich glaubte eher, dass der gerissene Kerl unsichtbar bleiben würde. Immerhin hatte er es im Grunde gar nicht auf Tyler und meine Mutter abgesehen. Francine, Lisa und Sarah waren es, die Kramer haben wollte, und unser Plan sah vor, dass er sie auch ganz sicher fand.
Jedenfalls wenn wir mit unseren Vorbereitungen fertig waren. Deshalb flogen wir mit unseren riesigen Bündeln auch nicht gleich zu Spade. Wir wollten zu einem verlassenen Gebäude in Ottumwa, das einst als Kläranlage gedient hatte. Darunter führte eine Reihe von Gullys, Kanälen und Abwasserrohren zum Des Moines River. Es war nicht so perfekt wie unsere Höhle mit ihrem unterirdischen Flusslauf – und roch auch um einiges schlechter, obwohl die Anlage schon vor Jahren stillgelegt worden war –, aber es musste reichen. Bones hatte seinen Mitregenten gebeten, das Gebäude mitsamt dem gesamten Gelände ringsum während der vergangenen Wochen über eine Scheinfirma zu kaufen. Wir durften schließlich nicht riskieren, dass irgendwer das Gebäude abriss, um ein neues zu bauen, und dabei zufällig Heinrich Kramers hoffentlich letzte Ruhestätte beschädigte. Jetzt mussten wir nur noch ein Loch vom Hauptkanal zum Fluss bohren, damit an der Stelle, an der wir die Falle errichten wollten, frisches Wasser floss.
Zusammen mit Chris’ Team hatten Bones und ich eine Woche gebraucht, um die erste Falle zu bauen. Diesmal mussten wir es in fünf Stunden schaffen, und das Loch musste ja auch noch gebohrt werden. Ich wollte nicht daran denken, wie schlecht unsere Chancen standen, und konzentrierte mich stattdessen darauf, wie stark Bones, Spade und Ian waren. Ich würde ebenfalls mein Bestes geben, und dann würden wir entweder fertig werden oder nicht. Nur eins war sicher: Zeit zum Händeringen blieb uns keine.
Wir landeten außerhalb der verlassenen Anlage, und ich setzte das schwere Teilstück der Falle ab, das ich geschleppt hatte, kaum dass meine Füße den Boden berührten. Nachdem ich eine Stunde lang mit meiner Last geflogen war, merkte ich erst, was für eine Leistung es war, wenn Bones mich tragen musste. Natürlich wog ich nicht so viel wie der riesige Steinbrocken, aber Bones hatte schließlich auch schon mich und mindestens noch eine weitere Person getragen. Und bei ihm sah das alles so leicht aus, obwohl er sogar noch schneller und weiter flog.
»Super Landung«, kommentierte Ian und warf einen vielsagenden Blick auf die lange Furche, die ich im Boden hinterlassen hatte. »Da wollen wir uns unauffällig verhalten, und du imitierst einen Meteoriteneinschlag.«
Ich war schon stolz auf mich gewesen, weil ich nicht durch eine Gebäudewand gebrochen war – sich in der Luft zu halten war viel leichter als zu landen! –, und so sah ich ihn nur von oben herab an.
»Ich bin erst seit knapp zwei Jahren untot und kann schon fliegen. Wie lange hast du denn gebraucht, um das hinzukriegen, mein Hübscher?«
Bones schnaubte, als er Ians empörten Gesichtsausdruck sah. Ian wollte sich ständig messen. »Selbst schuld, mein Freund.«
»Energiesaugerin«, gab Ian missmutig zurück.
Das hatte gesessen, aber Bones lachte nur. »Du würdest dir beide Eier abschneiden lassen, um das auch zu können, und Cat ist immerhin schon geflogen, bevor sie zum Vampir wurde, also geht der Punkt an sie.«
»Wenn ihr euch genug gekabbelt habt«, rief eine wohlklingende Stimme aus dem Gebäude heraus, »könnten wir vielleicht mal anfangen, die Falle zusammenzusetzen.«
Spade war schon da, gut. Ich besah mir den großen Felsblock, den ich mitgebracht hatte, dann den Gebäudeeingang. Schließlich ließ ich die Fingerknöchel knacken. Eins nach dem anderen, denn jetzt mussten wir erst mal den Eingang verbreitern, damit alle Teilstücke der
Weitere Kostenlose Bücher