Verlockung der Nacht
Fahrt hatte sorgen wollen, hatte sie die beiden Frauen vermutlich auch noch bewusstlos geschlagen. Ich brauchte nur daran zu denken, schon hätte ich mir vor lauter Frust am liebsten selbst den Schädel eingeschlagen. Dem Aussehen von Denises Wunden nach waren die drei schon seit Stunden fort, sodass sie inzwischen über alle Berge sein mussten.
Vielleicht hatte Sarah etwas zurückgelassen, das uns einen Hinweis auf den Ort gab, zu dem sie die Frauen bringen wollte. Das bezweifelte ich zwar, aber das Herumstehen machte mich doch nur verrückt. Ich verließ das verwüstete Schlafzimmer und ging nach unten, um die Mülleimer abzusuchen. Bitte, lass Sarah dumm genug gewesen sein, irgendetwas Belastendes aufgeschrieben und weggeworfen zu haben.
»Seltsam, dass du in ihren Gedanken nichts über ihre Pläne gelesen hast, Crispin«, hörte ich Ian sagen.
»Sie waren bruchstückhaft, unbeständig und oft unzusammenhängend. Ich dachte, das läge an der Misshandlung durch Kramer, nicht an ihren bösen Absichten«, antwortete Bones ruhig. »Glaub mir, ich wünschte, ich hätte dem mehr Beachtung geschenkt.«
Ich auch, aber ich hatte ja nur kurz mit Sarah Kontakt gehabt. Und da hatte sie sowohl gedanklich als auch laut geschrien, sodass es nicht viel zu verstehen gegeben hatte. Während wir dann auf Spade gewartet hatten, war ihr nur ihre Furcht vor Vampiren anzumerken gewesen – was bei neunundneunzig Prozent aller Menschen so war, die gerade von deren Existenz erfahren hatten – und dazu ihr Wunsch, Lisa und Francine zu treffen.
Mann, hatten wir uns in ihren wirklichen Absichten geirrt. Und noch etwas war schlimm an der ganzen Sache: Wenn Sarah Kramers Komplizin und nicht sein drittes Opfer war, dann war die andere Frau noch irgendwo dort draußen. Wie als unerbittliches Zeichen, dass uns die Zeit davonlief, kam ich auf dem Weg in die Küche auch noch an einer Uhr vorbei. Fünf nach drei, damit hatten wir offiziell den einunddreißigsten Oktober. Halloween war da, und uns hatte man einen grausamen Streich gespielt.
»Einer von uns sollte herumfliegen und nach dem Auto Ausschau halten, während die anderen hier nach Hinweisen suchen«, bemerkte ich auf dem Weg zum Abfalleimer in der Ecke. »In Elisabeths Apartment muss auch jemand vorbeischauen. Kramer hat vielleicht ihr Handy zerstört, nachdem sie uns die letzte SMS geschickt hat, und wir müssen noch das dritte Opfer finden. Vielleicht ist Elisabeth eine Frau aufgefallen, mit der Kramer sich herumgetrieben hat …«
»Ich weiß, wer die dritte Frau ist«, verkündete Bones.
Ich hörte auf, Essensreste, Papier und Verpackungen aus dem Mülleimer zu klauben. Bones kam die Treppe herunter, das Gesicht zu einer wundervoll unnachgiebigen Maske erstarrt.
»Was? Woher? Wer ist sie?«
Trotz der vielen Fragen, mit denen ich ihn bestürmte, sah Bones mich aus seinen dunklen Augen heraus unverwandt an. »Du bist es, Kätzchen.«
»Ich«, keuchte ich ungläubig. In dem plötzlich eingetretenen Schweigen erstarb auch das Rumoren über uns. »Niemals. Wie kommst du überhaupt …«
»Du bist die Einzige, auf die alle Faktoren zutreffen«, fiel er mir ins Wort. »Auf wen hatte es Kramer in den letzten Wochen abgesehen? Auf dich . Er ist dir schon gefolgt, bevor er wusste, dass wir ihm eine Falle stellen wollen, und hat immer zuerst dich angegriffen – bis auf das eine Mal, als ich dich geküsst habe und er mich dafür umbringen wollte. Auch der Zeitrahmen passt, weil er, als er dich kennenlernte, auch angefangen hat, Francine und Lisa zu drangsalieren. Du hast auch gerade einige Tragödien durchlebt. Du hast dich im Großraum Sioux City aufgehalten. Er hat sogar Sarah angewiesen, deinen Kater zu erhängen! Warum sollte er das tun, wenn er Helsing nicht als deinen Gefährten ansieht, wie die Katzen von Lisa und Francine?«
»Er weiß, dass Tiere ihn spüren können«, flüsterte ich, noch ganz durcheinander von Bones’ Schlussfolgerungen.
»Dexter hat Sarah aber nichts getan, oder?«, fragte Bones. »Du passt perfekt in Kramers Beuteschema, bis auf eins – du bist nicht alleinstehend. Aber er wird uns trennen wollen, und eins sage ich dir gleich: Das werde ich nicht zulassen.«
Ich stieß ein Schnauben aus, um zu verdrängen, dass Bones’ Worte wirklich Sinn ergaben. Was hatte ich bei meinem ersten Zusammentreffen mit Kramer getan? Ihm gesagt, dass ich Zauberkraft im Blut hätte und ihm dann meine Geisterarmee auf den Hals gehetzt. Von da an hatte er mich unter anderem
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