Verlockung der Nacht
auf.
»Rührt euch nicht vom Fleck. Ich muss nur schnell meine und Dexters Sachen packen.«
8
Ein paar Stunden später bogen wir mit zwei zusätzlichen Passagieren in die Auffahrt zu unserem Haus ein. Dexters linkes Hinterbein steckte in einem Gips, und durch die Schmerzpräparate, die der Tierarzt ihm verabreicht hatte, sahen seine Augen ziemlich glasig aus.
»Hier wohnt ihr?« Tyler ließ den Blick über das steil abfallende, bewaldete Terrain schweifen, das unser Haus in den Blue Ridge Mountains umgab. »Wundert mich, dass ich keine Banjo-Musik höre.«
Ich ignorierte die spitze Bemerkung, indem ich mir sagte, dass Nahtoderfahrungen auf Leute, die nicht daran gewöhnt waren, eine äußerst traumatische Wirkung hatten. Außerdem war mir selbst klar, dass unser Zuhause mitten im pittoresken Nirgendwo lag. Bones und ich hatten es uns so ausgesucht, um mehr Privatsphäre zu haben. Wir hatten ja keine Ahnung gehabt, dass das reines Wunschdenken bleiben würde. Das Nichtvorhandensein von Nachbarn sorgte jetzt aber wenigstens dafür, dass außer meinen eigenen Gedanken nur noch die von Tyler in meinem Kopf herumspukten.
Dexter ließ ein leises Jaulen hören und hob den Kopf. »Sind wir hier auch wirklich in Sicherheit?«, fragte Tyler. »Dexter meint, in der Nähe wären Geister.«
Mit einem sarkastischen Schnauben stieg Bones aus dem Auto. »Und ob.«
Tyler hatte gesagt, er könnte Geister zwar sehen, aber nicht auf den ersten Blick. Auf das Leben in der Casa Russel würde ich ihn dann wohl besser erst einmal vorbereiten. Mein Kater hatte sich so an die Gespenster gewöhnt, dass er sie fast gar nicht mehr anfauchte.
»Hier gibt es jede Menge Geister. Alle freundlich gesinnt«, fügte ich eilig hinzu. »Sie, ähem, hängen einfach gerne in der Nähe unseres Hauses ab.«
Lügnerin , dachte Tyler, und seine Augen wurden schmal. Dexter schnaubte, als ob er mir auch nicht glauben würde. Pech gehabt. Nur eine Handvoll Auserwählter wusste, warum es die Geister so zu mir hinzog, und ihm würde ich es nicht verraten.
»Vielleicht haben wir auf einem alten Friedhof gebaut und der Ort ist so eine Art Hotspot«, improvisierte ich, während ich ebenfalls ausstieg. »Du weißt schon. Wie in Poltergeist .«
Und wie die lügt, das sehe ich ihr doch an der käseweißen Nasenspitze an , dachte Tyler, lächelte aber verbindlich. »Mag sein, Schatz.«
Ich überlegte, ob ich Tyler sagen sollte, dass Bones nicht der Einzige war, der Gedanken lesen konnte, entschied mich dann aber dagegen. Wir hatten Tyler zwar mit nach Hause genommen, kannten ihn aber noch nicht. Einblicke in seine Gedanken würden mir einiges über seine Vertrauenswürdigkeit verraten. Ich glaubte nicht, dass von ihm eine Bedrohung ausging, aber wir mussten trotzdem vorsichtig sein. Wir waren bereits ein Risiko eingegangen, indem wir ihm gezeigt hatten, wo wir wohnten, eine Information, die man zur Not allerdings aus seinem Gedächtnis löschen konnte.
Wem wollte ich etwas vormachen? So wie Bones um meine Sicherheit besorgt war, würde er Tyler vermutlich sogar dann eine Gehirnwäsche verpassen, wenn sich herausstellte, dass wir ihm vertrauen konnten.
»Geh schon mal rein, ich komme gleich nach«, sagte ich und seufzte im Stillen, als ich die Hände ausbreitete und darauf wartete, von den vielen Geistern begrüßt zu werden. Nach der Anrufung der Restwesen war ich noch immer groggy, aber es wäre nicht fair gewesen, ins Haus zu marschieren, ohne meinen Gespensterfreunden auf die übliche Weise Hallo zu sagen.
Tyler warf mir einen komischen Blick zu, nahm aber Dexter auf den Arm und ging nach drinnen. Fünf Minuten später tat ich es ihm mit prickelnden Händen nach. Bones war nicht zu sehen, aber ich konnte ihn im Obergeschoss mit Spade telefonieren hören, und er klang nicht gerade freundlich. So ist’s recht, Schatz, mach ihm die Hölle heiß , dachte ich grimmig.
Ich fand Tyler in der Küche, wo er gerade betrübt den Inhalt unseres Kühlschrankes in Augenschein nahm.
»Ich weiß ja, ihr seid beide Vampire, aber ein paar Päckchen Käse und ein bisschen Tonic Water kann doch nicht alles sein, was ihr dahabt.«
»Morgen gehe ich einkaufen, aber bis dahin wirst du dich mit ein paar Dosensuppen und Kräckern aus der Speisekammer begnügen müssen.« Wir hatten schließlich keine Gäste erwartet, und mir stand auch nicht der Sinn danach, heute Abend noch vierzig Minuten bis zum nächsten Lebensmittelladen zu fahren. Bis ich ankam, hatte der vermutlich
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