Verlockung der Nacht
Schatten an den Fenstern vorbei, und Stimmen drangen hinaus in die kühle Herbstluft, doch das alte Krankenhaus war verlassen.
Na ja, zumindest von allem, was feste Form hatte. Sämtliche Mitglieder der N . I . P . D ., der Northeastern Investigative Paranormal Division, die Tyler uns empfohlen hatte, standen mit uns vor dem Gebäude. Bis eben hatten sie ihre diversen Gerätschaften in verschiedenen Räumen des alten Waverly Hills Sanatoriums aufgebaut. Nun waren sie in einer kleinen Gruppe zu einem letzten Briefing versammelt, um hernach alles dokumentieren zu können, was sich heute Nacht hier Gruseliges abspielen würde.
Obwohl das Sanatorium schon vor Jahrzehnten die Pforten dichtgemacht hatte, war es offenbar nach wie vor eine beliebte Sehenswürdigkeit. Die Neugierigen bezahlten für geführte Touren durch das Gebäude, während derer sie über Geschichtliches und die vielen Geistererscheinungen aufgeklärt wurden, die sich hier zugetragen hatten. Wer sich als Amateur oder Fachmann der Erforschung des Übersinnlichen verschrieben hatte, konnte das Hospital für eine Nacht ganz allein durchstreifen, vorausgesetzt, er zahlte den verlangten Preis und buchte im Voraus. Für das Waverly Hills gab es eine Warteliste, und die Eigentümer erstatteten einem sein Geld nicht zurück, wenn man den vereinbarten Termin nicht wahrnahm.
Daher trafen Bones und ich uns auch hier statt in aller Öffentlichkeit mit den Ermittlern – den Ausdruck Geisterjäger hörten sie nicht gern, wie sich herausstellte. Sie hatten den Abend im Sanatorium wochenlang geplant und wollten die ihnen zugestandene Zeit beziehungsweise ihr Geld nicht verplempern, bloß um mit Tylers neuen Klienten zu reden – wofür sie Bones und mich hielten. Und wir wollten ebenfalls nicht noch einen Tag und eine Nacht sinnlos verstreichen lassen, bis wir herausfanden, ob sie uns in Bezug auf Kramer helfen konnten. Nachdem Tyler den Kontakt vermittelt hatte, sind wir ins Auto gesprungen und nach Louisville, Kentucky, gefahren. Mit dem Flieger wären wir schneller gewesen, aber wir wollten nirgendwo unbewaffnet auftauchen, und die Flughafensicherheit sah es nicht gern, wenn man ein ganzes Waffenarsenal im Koffer mitführte.
Tyler weigerte sich, Dexter zurückzulassen, weil der Vierbeiner uns angeblich kostbare Sekunden im Voraus warnen konnte, falls Kramer wieder auftauchte. Dexter schien tatsächlich ein untrügliches Radar für Geister zu haben; kaum waren wir auf die Straße zum Sanatorium eingebogen, hatte er auch schon angefangen, auf diese gruselige Art zu jaulen. Bei Tyler dagegen dauerte es ganze Minuten, bis er auch nur die Schatten in den Fenstern des Gebäudes ausmachen konnte, und da standen wir schon davor . Ich musste zugeben, dass Dexter das bessere Medium von beiden abgab. Vielleicht ist irgendetwas falsch rübergekommen und Spades Dämonologen-Freunde haben uns eigentlich Dexter empfohlen , dachte ich verzagt.
»Dann mal los!«, schloss Chris, der Teamleiter der N . I . P . D ., seine Ansprache.
»Endlich«, murmelte Bones, aber so leise, dass nur ich es hören konnte.
Wir hatten versprochen, unsere Fragen erst vorzutragen, wenn das Briefing beendet war, da, wie uns versichert wurde, während der wichtigen Vorbereitungsphase keine Ablenkung erwünscht war. Wir hatten ja nicht ahnen können, wie lange sich das hinziehen würde. Wir standen jetzt schon seit guten zwei Stunden hier herum. Wäre es nach Bones gegangen, hätte der seinen Strahleblick angeknipst und Chris und seine Mannschaft vergessen lassen, wie wichtig ihnen die Vorbereitung war, aber er wusste, dass ich etwas dagegen gehabt hätte. Wir brauchten die Hilfe der Gruppe, nicht umgekehrt. Und was unser Problem mit Kramer anbelangte, machten zwei Stunden höflichen Wartens das Kraut auch nicht mehr fett.
Es sei denn, er tauchte gleich wieder auf und wollte uns umbringen.
»Also«, sagte Chris, der uns im Näherkommen musterte. Ich störte mich nicht daran, dass er uns zuvor kaum eines Blickes gewürdigt hatte. Er war ganz darauf konzentriert gewesen sicherzustellen, dass sein Team gut vorbereitet war, und wie ich das sah, sprach das für ihn. »Was ist das denn für eine wichtige, dringende Angelegenheit, die Tyler zufolge nicht bis morgen warten kann?«
Bones’ Blick ging zu dem Van mit der Aufschrift N . I . P . D . auf der Seite, die endlosen Kabelstränge für das Equipment und die vielen Teammitglieder, die dazwischen herumwuselten, bevor er antwortete.
»Macht ihr das,
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