Verlockung der Nacht
Richtung.
Kramer kreischte, kaum dass die Kräuter durch seine durchsichtige Gestalt sausten. Er begann, sich aufzulösen, aber ein großes Stück des Waschtresens brach ab und kam auf Tyler zugesegelt. Das Medium duckte sich mit einer Gewandtheit, die ich ihm gar nicht zugetraut hätte, und das improvisierte Geschoss schlug in die Badezimmerwand ein.
Ich hatte keine Ahnung, was in dem Papierkorb war. Aber egal was, wenn es Kramer schaden konnte, wollte ich es auch haben. Ich machte einen Satz, schnappte mir die kokelnden Kräuter vom Badezimmerboden und warf sie in Richtung der undeutlichen Umrisse des Geistes.
Wieder kreischte Kramer, als die Pflanzen durch ihn hindurchflogen. Was für ein Zeug es auch war, ich liebte es.
»Hier drüben«, rief ich Tyler zu und griff mir noch eine Handvoll. Gemeinsam bombardierten Tyler und ich nun den Geist mit den brennenden Bündeln. Die Enden der qualmenden Pflanzen streiften Kramer, bevor er sich verdünnisieren konnte. Mit einem letzten gequälten Aufschrei löste der Inquisitor sich gänzlich in Luft auf.
»Lauf, Wichser, lauf!«, rief ich und war so erleichtert, noch eine Waffe gegen Kramer zu haben, dass ich Tyler am liebsten an mich gedrückt hätte, bis ihm die Rippen knackten. Was ich nicht tat, aber eine kurze Umarmung war trotzdem fällig, was er mit einem Uff quittierte.
»Freiraum«, ermahnte er mich, als ich ihn losließ. »Und ein Handtuch könntest du dir auch umbinden.«
Ich brach in Gelächter aus. Jahrelang war mir die Lässigkeit, mit der Vampire ihre Nacktheit zur Schau stellten, unangenehm gewesen, und jetzt umarmte ich selbst jemanden, den ich keine zwei Wochen kannte, während ich nicht mehr als ein bisschen Badeschaum am Leib trug.
Ich bedeckte mich mit dem, was ich gerade greifen konnte, Bones’ Ledermantel, der mir an der nassen Haut klebte. »Sorry, Kramer hat mich unter der Dusche überrascht …«
Ich verstummte, als Bones plötzlich im Raum stand und uns aus dunklen Augen musterte, in jeder Hand ein Silbermesser.
»Ich habe dich schreien hören. Was war los?«
Tyler hielt noch den Papierkorb, dessen qualmender Inhalt einen leichten Dunst im Zimmer verbreitete. Wie aufs Stichwort ging der Feueralarm los, und Wasser schoss aus den Sprinklern in der Decke. Im Nebenzimmer jaulte Dexter unisono mit dem Feueralarm.
»Was los war? Meine geborgten Kräfte funktionieren nicht mehr, und Tyler ist ein echt harter Hund im Schafspelz«, antwortete ich und stieß das Medium an. »Toll, wie du da ins Zimmer gestürmt kamst und Kramer in die Flucht geschlagen hast.«
Bones musterte Tyler anerkennend. »Gut gemacht, Alter.« Dann nahm er die Messer in eine Hand und fuhr mir mit der anderen über den Hals. »Du hast Blut an dir. Geht’s dir gut?«
Er wusste natürlich, dass die Wunden von Vampiren fast sofort verheilten, befühlte mich aber dennoch weiter, als suchte er nach Verletzungen. Emotionen, so intensiv, dass sie selbst Bones’ Schutzschilde durchdrangen, waberten durch meine Nervenbahnen. Sorge, Wut auf meinen Angreifer und Schuldgefühle, weil er nicht da gewesen war, als es passierte.
»Nicht«, sagte ich und nahm seine Hand. »Wie hätten wir denn wissen sollen, dass Kramer uns hier finden würde, oder dass Maries Kräfte mich doch noch verlassen?«
Ein Stimmchen in meinem Innern sagte mir, ich hätte ahnen können, dass meine geborgten Fähigkeiten schwächer wurden. In der vergangenen Woche hatten sich keine neuen Gespenster mehr zu mir gesellt, aber ich war der Meinung gewesen, es läge daran, dass ich so viel Zeit in der Höhle und bei der Falle aus Kalkstein, Quarz und fließendem Wasser verbracht hatte.
»Fragt sich nur, wie er uns gefunden hat«, meinte Bones stirnrunzelnd.
Ich zuckte mit den Schultern. »Ohio ist eine Hochburg des Übersinnlichen, und wir latschen seit über einer Woche in aller Öffentlichkeit durch die Gegend. Vielleicht hat einer von Kramers Geisterfreunden uns gesehen und ihm einen Tipp gegeben. Vielleicht war er auch in der Gegend, weil er wie unzählige andere Gespenster eine Anziehung verspürte.«
»Oder Kramer ist Elisabeth nach einem ihrer fehlgeschlagenen Beschattungsversuche hierher gefolgt«, meinte Bones düster.
Das war auch möglich, und ich würde der Geisterdame auf jeden Fall nahelegen, in Zukunft noch vorsichtiger zu sein.
»Auch das noch«, murmelte ich, als ein nervöser Hotelangestellter in der Tür erschien. Was immer er hatte sagen wollen, es erstarb ihm auf den Lippen, als er
Weitere Kostenlose Bücher