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Verlockung der Nacht

Verlockung der Nacht

Titel: Verlockung der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeaniene Frost
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heraufbeschwörend.
    Kramers Augen wurden groß, bevor er sich rasch in Luft aufzulösen begann. Ich spürte zwar einen kalten Luftstoß, der mir am ganzen Körper Gänsehaut verursachte, aber das war auch schon alles.
    »Auf ihn, habe ich gesagt!«, versuchte ich es noch einmal und schlitzte mir so heftig die Hand auf, dass die Fliesen zerbröckelten.
    Nichts. Nur mein wachsendes Entsetzen erfüllte den Raum. Wo lag das Problem? Das Blut lief mir über die Finger, meine Haut fühlte sich an, als wimmelten eisige Ameisen über sie hinweg, und ich wünschte mir die Restwesen mit aller Macht herbei, aber meine rachdurstigen Freunde aus dem Jenseits waren nirgends zu sehen.
    Kramer hatte offenbar gehört oder geahnt, dass ich keine Hilfe herbeirufen konnte, denn er rematerialisierte sich mit solcher Deutlichkeit, dass ich die Bartstoppel auf seinem Kinn und die vom Alter zerschlissenen Stellen seiner Tunika ausmachen konnte. Doch obwohl ich mir wiederholt die Hand aufgeritzt und mich so angestrengt konzentriert hatte, dass ich mit den Zähnen knirschte, war er nach wie vor das einzige Geistwesen im Raum.

11
    Ein ganz schlimmes Déjà-vu-Gefühl überkam mich. Schon einmal hatte ich mich in einem Kampf auf geborgte Fähigkeiten verlassen, um dann zu merken, dass ich nicht mehr über sie verfügte. Diesen Fehler hätte ich nicht noch einmal machen dürfen.
    Der Inquisitor bleckte die Zähne zu einer Fratze, die man unmöglich als Lächeln bezeichnen konnte. »Siehst du? Gott raubt dir deine Hexenkräfte, um mich zu schützen!«
    »Also, Gott hat damit wirklich nichts zu tun«, fauchte ich, während ich versuchte, mich zu sammeln. Okay, die Restwesen konnte ich nicht mehr zu Hilfe rufen, aber irgend etwas anderes, als den Schwanz einzukneifen, musste ich doch tun können.
    »Ich erhalte meine Weisungen vom Allerhöchsten, denn es steht geschrieben: ›Eine Hexe sollst du nicht am Leben lassen‹«, tönte Kramer.
    »›Denn die Sünde wird nicht herrschen können über euch, die ihr ja nicht unter dem Gesetze seid, sondern unter der Gnade. Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet. Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein‹«, schoss ich zurück. »Wie kommt’s, dass du diese Weisungen vom Allerhöchsten nicht befolgst, du scheinheiliger Drecksack?«
    Ein überraschter Ausdruck huschte über Kramers Gesicht, aber ich war in einem Haushalt aufgewachsen, in dem Kirchgang und Bibelstudium zum Pflichtprogramm gehörten, sodass ich ihm den ganzen Tag lang Zitate hätte um die Ohren hauen können. Als Kramer sich wieder gefasst hatte, wurden seine Züge erneut zu der rachsüchtigen Maske, die ich kannte.
    Ich hatte mir zwar fest vorgenommen, eine Möglichkeit zu finden, dem Inquisitor einen Arschtritt zu verpassen, aber mir kroch dennoch die Furcht in den Nacken. Ich stand splitterfasernackt in einem Zimmer einem machtvollen, stinkwütenden Geist gegenüber, und meine einzig effektive Waffe war außer Betrieb. Zum ersten Mal seit langem hatte ich bei einem Kampf auf Leben und Tod keine Ahnung, was ich als Nächstes tun sollte. Nichts, was ich mir im Training so mühevoll angeeignet hatte, war mir unter den gegebenen Umständen von Nutzen. Was ich nicht greifen konnte, konnte ich auch nicht besiegen, und Kramer war nicht greifbarer als eine böse Erinnerung. Als könnte er meine Unsicherheit spüren, wurde das Lächeln des Inquisitors breiter.
    Als ich dann hörte, wie die Hotelzimmertür zugeschlagen wurde, sackte ich vor Erleichterung beinahe zusammen. Bones war offenbar zurück. Rein körperlich konnte er zwar auch nichts gegen Kramer ausrichten, aber zu zweit hatten wir wenigstens eine Chance, Zeit zu schinden und uns einen Plan einfallen zu lassen …
    »Du hast dich mit der falschen Weißen angelegt, Arschgesicht!«, hörte ich Tylers Stimme.
    Ich weiß nicht, wer schockierter war, Kramer oder ich. Das sonst so schüchterne Medium stand in der Tür, einen Papierkorb in Händen, in dem irgendwelche Kräuter vor sich hin kokelten und Qualm verbreiteten. Hektisch versuchte Tyler, den für ihn noch nicht sichtbaren Angreifer im Badezimmer zu erspähen.
    Ich wusste nicht, was er vorhatte, war aber gewillt, ihm zu helfen. »Da«, rief ich, auf Kramer deutend.
    Der Geist beäugte Tyler mit schief gelegtem Kopf, fast so, als wollte er wissen, was das Medium im Sinn hatte. Tyler griff sich eine Handvoll Pflanzen, verbrannte sich fluchend die Finger und warf das Zeug dann in die von mir angegebene

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