Verlockung der Nacht
Körper zu ziehen. Ich zuckte bei jeder seiner schnellen, effizienten Bewegungen zusammen, als würden mir mit dem Silber ganze Stücke aus dem Körper gerissen.
»Tyler, holst du eine Decke aus dem Nebenzimmer?«, bat ich und wandte mich dem Silber zu, das noch in Bones’ Körper steckte. Er presste die Lippen zusammen, als ich begann, ihn von den vielen Messern zu befreien, gab aber keinen Laut von sich, obwohl mir klar war, dass er genauso große Schmerzen hatte wie ich eben.
Während Tyler sich aufmachte, die Decke zu holen, murmelte er vor sich hin, dass er so einen »krassen Scheiß« noch nie gesehen hatte. Spade hielt Denise im Arm, die ein wenig angeschlagener zu sein schien als sonst nach einer Verwandlung. Vielleicht lag es am Blutverlust, den sie durch ihre Verletzungen erlitten hatte, obwohl die bereits verheilt waren. Vielleicht musste ihr Körper sich auch erst ein wenig erholen, nachdem er sich kurzfristig in eine fünfhundert Kilo schwere Sagenkreatur verwandelt hatte, die so bedrohlich gewirkt hatte, dass sogar ein mordlustiger Geist Muffensausen bekommen hatte.
Hustend kam Tyler zurück und reichte Denise eine Decke. Der brennende Salbei erfüllte den Raum mit Rauch, und an einigen Stellen qualmte auch der Teppich.
»Feuer«, rief ich und schob Bones weg, der mich gerade von dem letzten Silbermesser befreien wollte. Bei ihm war ich schon fertig, da er den Angriffen offenbar geschickter ausgewichen war als ich. Ich rannte ins Badezimmer, machte unter der Dusche schnell ein paar Handtücher nass und bedeckte damit die größten Brandherde. Bones, Spade, Denise und Ian traten die kleineren aus. Bald war das Feuer gelöscht, sodass lediglich noch etwas Salbei auf einigen nicht entflammbaren Stellen wie dem verbogenen Bettgestell und unseren provisorischen Schilden vor sich hin qualmte.
Ich besah mir das Chaos: die demolierte Einrichtung, die Glasscherben, die Löcher in der Decke, der Wand, im Badezimmer, die vielen verstreut herumliegenden oder irgendwo steckenden Silbermesser und den verkohlten Teppich und schüttelte den Kopf.
»Spade, du darfst uns nie wieder bei dir wohnen lassen. Jetzt haben wir schon zum zweiten Mal ein Zimmer deines Hauses verwüstet.«
Spade zuckte mit den Schultern. Er schien eher daran interessiert zu sein, auf den feuerfesten Flächen ausreichend Salbei am Brennen zu halten, als auf die Zerstörung zu achten.
Ich hörte einen Wagen in die Auffahrt biegen. Anscheinend war meine Mutter zurück. Und einige Augenblicke später stand sie auch schon in dem riesigen Loch in der Zimmerwand und beäugte die Verwüstung mit einer Mischung aus Entsetzen und Besorgnis.
»Catherine, was ist passiert ?«
»Sind alle wohlauf?«, rief Fabian, anscheinend vom Garten aus. Ich trat an das eingeschlagene Fenster und sah ihn und Elisabeth in einiger Entfernung von dem nach draußen wabernden Salbeirauch schweben.
»Was passiert ist?«, wiederholte Bones in scharfem Tonfall, als er zu mir ans Fenster trat. Er funkelte die Gespenster aus smaragdgrünen Augen an. »Passiert ist, dass ihr beschattet worden seid.«
21
Naserümpfend stellte ich den Katzenkäfig in dem kleinen Wohnzimmer des Reihenhauses ab. Die Leute, die vorher hier gewohnt hatten, mussten Raucher gewesen sein. Wände und Teppich verströmten einen hartnäckigen Tabakgeruch, aber das war immer noch besser als die Knoblauch-Gras-Mischung, mit der wir uns in Spades Anwesen umgeben hatten. Nicht, dass es uns etwas genützt hätte. Kramer war offenbar so mächtig, dass man ihn mit solchen Mitteln nicht abschrecken konnte. Da ich mir allerdings vorgenommen hatte, positiv zu denken, sagte ich mir, dass wir uns nach letzter Nacht wenigstens nicht mehr auf die Suche nach italienischen Köchen und Drogendealern machen mussten, um unseren Knoblauch- und Marihuanabedarf zu decken. Das war doch schon ein guter Anfang in Sachen Optimismus.
Bevor ich den Kater aus seinem Transportkäfig befreite, zündete ich ein wenig Salbei an und befüllte die vielen Räucherschalen und Glasgefäße, die wir auf der Fahrt von Saint Louis nach Sioux City erworben hatten. Da wir noch Besorgungen hatten machen und eine geeignete Bleibe hatten suchen müssen, waren wir auf der Reise nicht zum Schlafen gekommen, aber ein Nickerchen bei Spade kam nach Kramers Besuch auf keinen Fall mehr in Frage. Spade und Denise hatten ebenso schnell wie wir ihre Koffer gepackt. Ich hatte Gewissensbisse, weil sie erst zurück in ihr Haus konnten, wenn wir Kramer
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