Verlockung der Nacht
Kreatur, das zu den vier kräftigen Beinen hin dunkler wurde. Ein Schwanz, breiter als mein Oberkörper, fegte peitschend die zertrümmerte Zimmermöblierung weg, bevor er vor Bones und mir zu liegen kam wie eine lebendige, sich bewegende Barrikade. Aus zwei dicken hörnernen Höckern auf dem Rücken des Wesens sprossen dunkelgrüne Schwingen, die den Rest des Zimmers ausfüllten, obwohl sie nur halb ausgebreitet waren. Ihre stachel- und keulenbewehrten Enden durchlöcherten den Teppich, als die Kreatur sich damit abzustützen schien. Wieder regnete es Holz und Putz, und ein zweites, größeres Loch erschien in der Decke, in dem der gewaltige, längliche Schädel auftauchte, der es geschlagen hatte. Die Kiefer darin waren so groß wie das Bett, und riesige, feuerrote Augen fixierten den wie versteinert wirkenden Geist, während sich am Hinterkopf des Wesens ein krönender Schuppenfächer aufspreizte.
»Denise, du hast dich selbst übertroffen«, murmelte Bones verblüfft.
Ich brachte noch immer kein Wort hervor. Ja, ich hatte Denises Formwandlerkünste schon miterleben dürfen, einmal, als sie die Gestalt einer Katze angenommen, und einmal, als sie sich in eine exakte Kopie meiner selbst verwandelt hatte, als man sie für mich hatte halten sollen. Mir war jedoch nicht bewusst gewesen, dass sie etwas in dieser Größenordnung zustande bringen konnte. Keine drei Meter vor mir stand eine Kreatur, die man nur als riesigen Drachen bezeichnen konnte. Einer, der aussah, als käme er geradewegs aus Die Herrschaft des Feuers – ein bisschen kleiner zwar, denn im Gegensatz zu dem doppelt so großen Filmdrachen war dieser anscheinend nur zwei Stockwerke hoch.
Wenn sie jetzt noch Feuer speit , dachte ich in Ehrfurcht erstarrt, falle ich auf der Stelle in Ohnmacht .
Kramer stand weiter wie angewurzelt da, fast als glaubte er, er würde unsichtbar werden, wenn er sich nur nicht rührte. Er schien völlig vergessen zu haben, dass er sich einfach in Luft auflösen konnte, denn seinem Gesichtsausdruck nach wollte er so schnell wie möglich weg von dem riesigen Drachen, der mit blitzenden Zähnen zwischen den gähnenden Kiefern wütend auf ihn herabstarrte. Durch die Größe des Drachen saß Kramer diesem allerdings praktisch auf dem Schoß.
Glas splitterte, als ein Verandamöbel durch das Schlafzimmerfenster segelte. Weit kam es nicht, da es am Hinterbein des Drachens abprallte und dabei fast meinen Kater erschlug, der sich entsetzt in den Trümmern des Bettes verkrochen hatte.
»Zimmerservice!«, rief Ian, der in dem eingeschlagenen Fenster erschien. In beiden Händen hielt er jede Menge kokelnden Salbei, aber als er den Drachen sah, erstarrte er wie Kramer und ließ, die Fangzähne ausgefahren, den Mund offen stehen.
»Da soll mich doch der Blitz beim Scheißen treffen!«
»Steh hier nicht rum, wirf Salbei«, presste Bones hervor.
Ian schüttelte den Kopf, als wollte er ihn freibekommen, und warf dann den Salbei nach dem Geist, der aufheulend endlich zu verschwinden versuchte.
Wieder rieselten Putz und Holz. Dann erschien Spade in einem riesigen Loch, das er neben der verrammelten Schlafzimmertür in die Wand geschlagen hatte. Eilig schnappte ich mir Helsing, bevor die Bett-und-Möbel-Barrikade über ihm zusammenbrach. Auch Spade hatte sich mit jeder Menge Salbei bewaffnet, und nun, da beide Vampire ihn mit dem angezündeten Grünzeug bombardierten, konnte er den Geschossen auch nicht mehr schnell genug ausweichen. Mit einem wüsten Fluch verschwand er.
»Heilige Scheiße, was ist das denn?«
Die Hände gleichfalls voller Salbei lugte Tyler an Spade vorbei und starrte ungläubig den Drachen an. Seine Gedanken schwankten zwischen Unglauben, Angst und Faszination, als der Drache wankte, dann schrumpfte und schließlich zu Denise wurde, an deren nackter Gestalt lediglich ein paar Blutstropfen klebten.
Ian schien sich von seiner Überraschung erholt zu haben. Er warf Spade einen beinahe anklagenden Blick zu.
»Du knallst eine Frau, die sich in einen Drachen verwandeln kann? Verdammt, Charles, ich bin grün vor Neid!«
»Nicht jetzt«, murmelte Spade, zog sich das Hemd aus und legte es Denise um. Ich versuchte, die Bettdecke zwischen den Trümmern des Bettes hervorzuziehen, aber sie steckte in den Möbeln fest, sodass ich am Ende nur einen langen Fetzen abreißen konnte.
»Kätzchen, eins nach dem anderen«, meinte Bones. Damit begann er, mir die Messer, die mich an den verschiedensten Stellen getroffen hatten, aus dem
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