Verlockung der Nacht
Madigan unentdeckt zu bespitzeln.
Meine Bedenken verflogen, als ich eine geisterhafte Gestalt im Anzug statt einem alten, geflickten Kittel über die sanften Hügel der Parklandschaft schweben sah. Ich hatte keine Ahnung, weshalb Geister bestimmte Kleidungsstücke trugen – Don war schließlich nicht im Anzug gestorben –, aber das war es nicht, was ich unbedingt herausfinden wollte. Er war kaum in Hörweite, da redete ich auch schon auf ihn ein.
»Wie lange hast du gestern gebraucht, um mich aufzuspüren, von dem Zeitpunkt an, als du angefangen hast, mich zu suchen, bis zu dem, als du auf unserem Rasen aufgetaucht bist?«
»Selber Hallo, Cat«, antwortete mein Onkel mit leichtem Kopfschütteln. Tyler kam heran und schielte in die Richtung, in die ich mich gedreht hatte. Meine Frage hatte ihm offenbar verraten, dass da ein Geist war, den er noch nicht sehen konnte.
»Von deiner Antwort hängen Leben ab«, wandte sich Bones in scharfem Tonfall an meinen Onkel.
Don zupfte ein paarmal nachdenklich an seiner Augenbraue. »So gegen fünf Uhr früh, Ortszeit Tennessee, habe ich angefangen, mich auf dich zu konzentrieren, wie du mir gesagt hast. Wann war ich bei euch?«
»Kurz nach zwei Uhr nachmittags.« Den Zeitunterschied einberechnet waren das circa zehn Stunden. Viel, viel länger als kurz nach Maries Blutspende. Damals hatte Fabian ein paar Minuten bis zu einer Stunde gebraucht, je nachdem, wie weit entfernt er gewesen war.
Bones warf Don einen forschenden Blick zu, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder mir zuwandte. »Er ist es nicht gewohnt, sich an Ley-Linien zu orientieren, und er ist nicht halb so mächtig wie Kramer. Gehen wir davon aus, dass der Inquisitor halb so lange braucht.«
Fünf Stunden. Gott, das reichte nicht, um alles Wichtige zu regeln, bevor der Geist uns aufspürte.
»Letzte Nacht waren wir doch länger in der Fleischfabrik«, meinte ich in der Hoffnung, Bones könnte falsch liegen.
»Vielleicht war er ja auch da und hat darauf gelauert, ob Spade und die anderen zu uns stoßen«, antwortete er.
Gutes Argument. Warum sollte Kramer sich zu erkennen geben, wenn für ihn nichts dabei heraussprang? Auf Bones und mich hatte er es nicht abgesehen; er wollte die Frauen. Kramer hatte sich vor dem Reihenhaus auch erst gezeigt, als Ian mit Francine abgedüst war. Kein Wunder, dass alles glattgelaufen war, als Bones und ich Lisa aus ihrer Wohnung geholt hatten. Kramer hatte bereits gewusst, wo wir hinwollten. Der Wichser hatte uns vermutlich beobachtet und sich dabei ins Fäustchen gelacht, weil wir es ihm so einfach machten, indem wir beide Frauen unter einem Dach wohnen ließen.
Na ja, wenigstens das Lachen war ihm jetzt wohl vergangen. Wenn Kramer uns die ganze Nacht über beobachtet hatte, wusste er, dass die anderen nicht zu uns gestoßen waren, und würde sicher bald zu der Erkenntnis gelangen, dass sie auch nicht mehr kommen würden. Dann würde er seinem Unmut auf die übliche Weise Luft machen – indem er uns umzubringen versuchte.
»Ach, da ist er«, meinte Tyler. »Sie sind doch dieser Alte aus der Höhle in Ohio. Wie geht’s denn so?«
»Ich bin tot, wie soll’s mir schon gehen?«, antwortete mein Onkel mürrisch, um dann näher an mich heranzuschweben. »Was war gestern los, Cat?«
Ich stieß ein kurzes Auflachen aus. »Der Geist, der damals vor der Höhle erschienen ist, hat uns einen Besuch abgestattet, und wie du ja gesehen hast, war er auch noch genauso schlecht drauf.«
Der argwöhnische Blick, den Don mir zuwarf, erinnerte mich sehr an meine Anfangszeit in seinem Team, als ich noch nicht gewusst hatte, dass wir verwandt waren. »Was hast du getan, dass er so wütend ist?«
»Was ich getan habe?«, stammelte ich, so aufgebracht, dass mir gar keine Entgegnung einfiel.
»Ich habe heute keine Geduld für so was«, knurrte Bones und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Alles, was du wissen musst, Williams, ist, dass wir uns mit brennendem Salbei umgeben werden, bis wir dieses Arschloch geschnappt haben oder Cat von dir nicht mehr aufgespürt werden kann, je nachdem, was zuerst passiert.«
Selbst ohne meine Reaktion hätte Don an Bones’ scharfem Tonfall merken müssen, dass er auf der Hut sein musste, weil wir beide mit den Nerven runter waren, doch mein Onkel schien sich dessen nicht bewusst zu sein.
»Das wird nicht gehen«, erklärte er. »Cat weiß, dass ich jederzeit in der Lage sein muss, zu ihr zu kommen, falls im Stützpunkt etwas passiert. Wie soll das
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