Verlockung der Nacht
Lisa, und gleich darauf schien etwas Schweres gegen die Wände des Reihenhauses zu schlagen.
»Charles«, sagte Bones warnend, während er die offenen Fensterhöhlen mit Polstern verschloss. Ich war hin- und hergerissen. Einerseits wollte ich ihm helfen, das Zimmer abzudichten, damit der Rauch drinnen blieb, andererseits fürchtete ich, Kramer könnte hereingerauscht kommen und Tyler umbringen, wenn ich mich von ihm wegbewegte.
»Jetzt gut festhalten«, hörte ich Spade murmeln, dann erschütterte ein weiterer Donnerschlag das Haus. Lisa kreischte erneut, doch diesmal verklang ihre Stimme, bis es sich anhörte, als wäre sie weit weg.
Flieg, Spade, flieg!, dachte ich und wusste, dass er auch Denise in Sicherheit brachte.
Draußen ertönte ein wütender deutscher Wortschwall, und das Poltern wurde so laut, dass die Wände bebten. Schadenfreude erfüllte mich, weil das bedeutete, dass Kramer den anderen nicht folgen konnte. Andernfalls hätte er nicht draußen gewütet wie der große böse Wolf aus dem Comic.
»Bones, du musst Tyler und Dexter auch wegschaffen«, flüsterte ich. Bones konnte viel schneller fliegen als ich, ganz zu schweigen davon, dass ich noch immer eine Art Geistermagnet war.
»Ich will nicht«, stieß Tyler hervor. »Aber geh … von meiner Niere runter.«
Ich zog mein Knie zurück. Ich hatte es ihm nicht in den Rücken rammen wollen, war aber etwas in Eile gewesen, als ich mich auf ihn geworfen hatte.
»Du musst weg. Noch etwa einen Monat lang wird er mich überall finden«, zischte ich zurück, als mir einfiel, wie lange es gedauert hatte, bis meine Hände keine Funken mehr geschlagen hatten. »Willst du draufgehen?«
»Nein. Deshalb bleibe ich ja auch hier«, antwortete Tyler mit mehr Nachdruck, aber doch so leise, dass ich es bei dem Getöse draußen vielleicht nicht gehört hätte, wäre ich nicht direkt über ihm gewesen. »Wenn ihr ihn fangen wollt, braucht ihr mich, und ich brauche euch, um ihn zu fangen«, schloss er. Dumpfbacke , schoss es ihm durch den Kopf, aber das sagte er nicht laut.
Obwohl gerade ein Geist dabei war, die Wände einzuschlagen, und Dexter so laut bellte, dass mein Trommelfell schmerzte, konnte ich nicht umhin loszuprusten. Dumpfbacke? Tyler war es doch, der nicht in Sicherheit gebracht werden wollte. Der musste gerade was sagen.
Bones näherte sich. Bei jedem seiner Schritte hörte man Glas unter seinen Füßen splittern. »Die Nachbarn rufen die Bullen. Bleib bei ihm. Ich packe das Nötigste, dann hauen wir ab.«
Wir hatten gleich alle drei Reihenhäuser gemietet, um keine direkten Nachbarn zu haben, aber bei der Szene, die Kramer draußen veranstaltete, hatten wir doch Aufmerksamkeit erregt.
»Sieht aus, als müsstest du doch fort«, wandte ich mich an Tyler.
Er schnaubte. »Ich hasse es, mit euch zu fliegen, habe ich das schon mal erwähnt?«
Ich warf einen kurzen Blick nach draußen, wo Kramer den Geräuschen nach gerade vor Wut den Rasen umpflügte.
»Sorry. Eine Menge Vampirtricks sind gewöhnungsbedürftig.«
26
Bones und ich warteten vor der Cathedral of the Epiphany, wo einer ihrer hohen Türme einen kreuzförmigen Schatten auf uns warf. Ich sagte mir, dass das ein gutes Omen war, obwohl ich meine Anspannung nicht abschütteln konnte. Um acht Uhr abends herrschte hier schon weniger Betrieb, aber immerhin waren noch so viele Leute da, dass ich mir nicht nur um Tylers Sicherheit Sorgen machte, falls Kramer auftauchte. Dexter und Helsing hatten wir bereits in einer Tierpension untergebracht. Das war zwar keine langfristige Lösung, aber bis Spade die beiden abholen konnte, ging es eben nicht anders. Wie Francine und Lisa würden auch die Tiere ohne mich sicherer sein.
Daher hatten wir die Nacht auch in einer verlassenen Fleischfabrik in den Stockyards verbracht, wo wir die ganze Zeit über Salbei auf dem kalten Zementboden verbrannt hatten. Das Ambiente war zwar trist, und wir taten beide kein Auge zu, aber wir konnten nicht riskieren, uns in einem Hotel einzumieten und etwaige Zimmernachbarn zu gefährden. Bones hatte ein paar Anrufe gemacht, und die heutige Nacht würden wir in einem Mietshaus ohne direkte Nachbarn zubringen, aber erst mussten wir mit meinem Onkel sprechen. Wir hatten einige wichtige Fragen, die nur Don uns beantworten konnte. Wehe, er taucht nicht auf , dachte ich mit einem Blick auf die Zeitanzeige auf meinem Handydisplay. Ich traute meinem Onkel durchaus zu, dass er mich versetzte, falls sich ihm eine Gelegenheit bot,
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