Verlockung der Nacht
Verandabrettern sogar eine kleine Kramer-Puppe gebastelt. Der habe ich dann die Arme und Beine ausgerissen und einen Nagel in den Arsch gerammt. Also ehrlich, wärst du gestern nicht vorbeigekommen, wäre mir das nicht im Traum eingefallen …«
»Brennen wirst du!«, brüllte Kramer und schoss so schnell auf mich zu, dass er in Kontakt mit dem Salbeirauch kam, bevor er sich wieder fangen und zurückweichen konnte. Ich rührte mich nicht von der Stelle, weil ich Kramer nicht die Genugtuung verschaffen wollte, mich auch nur zucken zu sehen. Als sein Blick sich in meinen bohrte, lag darin eine Grausamkeit, die zu intensiv war, um Wahnsinn sein zu können. Dann entblößte er seine widerlichen Zähne, sodass ich unwillkürlich dachte, dass er noch aus meterweiter Entfernung gestunken hätte, wäre er am Leben gewesen.
»Glaub ich kaum.«
Meine Tonfall war fest, und ich erwiderte seinen Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. »Ich bin ein Vampir, also kann ich im Feuer draufgehen, wenn es groß genug ist und ich nicht entkommen kann, aber ich werde wohl eines Tages durch die Hand irgendeines Meistervampirs sterben, der stärker, schneller und schlicht geschickter im Umgang mit dem Silbermesser ist als du. Du hingegen wirst nie sterben, oder? Du wirst in dieser Dunstwolke festsitzen, die du Körper nennst, und zusehen, wie das Leben an dir vorüberzieht, während du nur darüber schimpfen kannst, obwohl dich kaum einer hört. Da wäre ich lieber tot.«
Kramer regte sich nicht, aber ich spürte seinen Zorn in der Kälte, die mir über die Haut schwappte, als hätte sich die Luft binnen weniger Sekunden um mehrere Grad abgekühlt. Dann erschauerte Kramers Körper wie ein See, über dessen Oberfläche man einen Stein hatte hüpfen lassen, und wurde für einen ganz kurzen Augenblick unscharf, bevor er in leuchtenden, lebendigen Farben erstrahlte. Sein Kittel war nicht braun, er war grau und mit Matsch bespritzt, und seine Augen waren dunkler grün, gar nicht so wässrig, wie sie zuvor gewirkt hatten. Er hatte Pockennarben, die bisher durch die Unschärfe und den weißen Stoppelbart unsichtbar gewesen waren, und in seinem Silberhaar schimmerten noch immer ein paar bleiche goldene Strähnen.
Ich brauchte nicht die Hand auszustrecken, um zu wissen, dass sein Körper so greifbar war wie mein eigener. Elisabeth hatte auch sehr viel lebendiger gewirkt, als sie feste Form angenommen hatte, und genauso war es jetzt bei ihrem Mörder.
»Kommt der Matsch von dem alten Irrglauben, dass ein verfaulter Leib einen Heiligen ausmacht, oder bist du in einer großen Pfütze gelandet, als Elisabeth dein Pferd dazu gebracht hat, dich abzuwerfen, damit du dir den Hals brichst?«, fragte ich mit sanfter Stimme. »Ich frage mich, wie lange du dich an diesen Leib klammern kannst, bevor er wieder verschwindet. Zwei Minuten, drei vielleicht?«
Mit dieser Frage wollte ich ihn zum Angreifen provozieren. Bitte, o bitte, versuche, mir eine reinzuhauen. Ich würde dir so gern zeigen, was ich gegen einen Feind ausrichten kann, der nicht aus Luft besteht!
Kramer lächelte. Auch seine Zähne wirkten jetzt echter, und das war gar nicht gut.
»Du solltest dich besser fragen, wie viele Hexen ich noch verbrennen muss, bevor ich stark genug bin, mich jeden Tag statt nur einen einzigen im Fleische zeigen zu können«, antwortete er gedehnt, jedes Wort ein Gifttropfen. »Ich glaube, nicht mehr viele.«
»Du glaubst, indem du Frauen verbrennst, wirst du wieder lebendig?« Gott, was für ein kranker Bastard!
Sein widerliches Grinsen wurde breiter. »Angst stärkt mich, wie Blut deine armselige Art stärkt. Ich bezog meine Kraft von den Sehenden, bis ich mich jedem Sterblichen zeigen konnte. Es dauerte Jahrhunderte, bis ich wieder feste Form annehmen konnte, und auch das gelang mir nur für Minuten. Als ich jedoch an Samhain meine ersten drei Hexen verbrannt hatte, war es schon eine Stunde. Jetzt versorgt mich jede auf den Scheiterhaufen geschickte Hexe mit so viel Schrecken, dass es mich stärker macht, als du dir vorstellen kannst. Bald werde ich nicht nur zu Samhain im Fleische wandeln können, sondern immer, wenn ich es will.«
Obwohl ich wusste, dass Bones mich zur Schnecke machen würde, wenn ich die raucherfüllte Sicherheit des Hauses verließ, konnte ich nicht widerstehen, einen Satz nach vorn zu machen und Kramer möglichst schnell einen fetten Kinnhaken zu verpassen. Meine Faust traf ihn mit einem Knirschen, das so befriedigend war, dass ich mit
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