Verlockung der Nacht
Denise beißt, bringt Charles dich um, egal wessen Mutter du bist«, stellte Ian fest.
Ich rieb mir die Stirn, um das Bild in meinem Kopf loszuwerden, das Ian heraufbeschworen hatte. Biss meine Mutter Denise und trank ihr dämonisch verändertes Blut, eine Vampirdroge, würde Spade sie umbringen. Auch, wenn damit eine riesige Kluft zwischen ihm und Bones aufbrechen würde – und alles nur wegen mir, ganz zu schweigen davon, wie geschockt Denise sein würde. Aber wenn es hieß, den eigenen Ehepartner zu schützen, waren uns Vampiren Beziehungen zu anderen Personen egal.
»Es war die richtige Entscheidung, sie hierher zu bringen«, wandte Bones sich an Ian, und ich musste ihm zustimmen. Ich war der Meinung gewesen, bei Spade und Denise wäre meine Mutter besser aufgehoben, aber allem Anschein nach hatte sie noch immer so mit ihrer Gier zu kämpfen, dass sie selbst Leute anfiel, die nicht auf der Speisekarte standen.
»Was war der Auslöser, Mom? Weißt du es, damit wir es das nächste Mal verhindern können?«
»Ah, und jetzt kommt das Beste«, meinte Ian und stieß meine Mutter mit dem Ellbogen an.
Sie schlug nach seinem Arm, während sie noch immer vor sich hin starrte. »Ich habe es inzwischen unter Kontrolle.«
Ian prustete laut los. »Kein Vampir kann sich ohne Nahrung lange unter Kontrolle halten, mein hübsches kleines Dummerchen.«
Ich war so perplex, dass ich nicht einmal auf die Beleidigung reagieren konnte. »Du hast nichts gegessen? Aber du bist doch immer ausgegangen und meintest, du würdest …«
»Lügen, Lügen, Lügen«, verkündete Ian fröhlich. »Ich bin der Letzte, der das verurteilen würde, aber sie hat doch tatsächlich geglaubt, sie könnte sich über Wasser halten, indem sie Blut aus abgepacktem Fleisch saugt, was zwar wahnsinnig komisch, aber absolut nicht praktikabel ist.«
Bones unterdrückte seine Emotionen, ein Zeichen, dass er mich nicht wissen lassen wollte, was er über meine Mutter dachte. Wenn es ihm auch nur annähernd so ging wie mir, wollte er sie schütteln und ihr dabei ins Gesicht schreien: Bist du jetzt komplett übergeschnappt? Bei allem, was wir um die Ohren haben, musst du auch noch beschließen, der erste Vegetarier-Vampir der Welt zu werden? Hast du schon mal darüber nachgedacht, was passiert, wenn dein brillanter Plan nicht AUFGEHT ?
Aber das behielt ich für mich. Teils, weil Ian meiner Mutter bereits auf den Kopf zugesagt hatte, was er von ihrem zum Scheitern verurteilten Unterfangen hielt, teils, weil sie aussah, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. Ich konnte an einer Hand abzählen, wie oft ich meine Mutter weinen gesehen hatte, und wollte es nicht noch einmal erleben, geschweige denn provozieren.
»Okay«, sagte ich und holte tief Luft, um nicht doch noch dem Drang zu erliegen, sie zu schütteln und anzuschreien. »Wie lange ernährst du dich schon von Blut aus abgepacktem Fleisch?«
»Seit ich das Team verlassen habe«, murmelte sie. »Tate hat mir immer Blutkonserven gegeben, aber als ich gegangen bin, war mir klar, dass ich keine mehr bekommen würde, also habe ich versucht, eine Alternative zu finden.«
Ich machte große Augen, als ich den Zeitraum überschlug. Bones sagte noch immer nichts. Sein Gesicht war emotionslos, seine Aura verschlossen wie eine Gruft. Tyler hielt sich nicht im Mindesten so zurück. Mieses Stück. Kannst von GLÜCK sagen, dass du nicht meinen Hund angefallen hast, tönte es in seinem Kopf.
»Okay.« Meine Stimme klang fast wie ein Kieksen, so groß war mein Unglaube. »Das hat also nicht funktioniert, äh, wen hast du denn angefallen?«
Sie sagte nichts, kaute nur mit harmlos stumpfen Zähnen auf ihrer Unterlippe herum.
»Francine ist von einem Geräusch aufgeschreckt worden und hat sich geschnitten, als sie ein Glas mit Salbei zu fest gedrückt hat«, half Ian weiter. »Daraufhin ist deine Mom auf sie losgegangen und hat angefangen, an ihr zu saugen wie eine Verrückte. Hätte mich ziemlich angetörnt, ohne das ganze Geschrei.«
»Ian«, mahnte Bones.
Der grinste. »Okay. Es hat mich auch so angetörnt.«
Ehe ich mich versah, hatte ich ihm in die Brust geboxt. Die Unterlippe meiner Mutter bebte.
»Das wollte ich nicht. Ich hatte mich einfach nicht im Griff.«
»Na klar. Du bist ja eine Vampirin .«
Die aufgebrachten Worte kamen nicht von mir, auch wenn ich sie gedacht hatte, und ebenso wenig von den beiden anderen Blutsaugern im Raum. Sie kamen von Tyler, der die Treppe heruntergekommen war, obwohl er
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