Verlockung der Nacht
in dem dichten Rauch husten musste.
»Du weißt schon: Reißzähne, grüne Leuchtaugen und Schallgeschwindigkeit? Ist dir doch auch schon aufgefallen, oder?« Auf das spöttische Schnauben meiner Mutter hin, fügte er hinzu: »Warum also glaubst du, du könntest den Teil mit dem Menschenblut-Trinken auslassen?«
»Ich weigere mich, jemandem die Zähne in den Leib zu schlagen, ihn niederzuhalten und sein Blut zu stehlen …« Düsternis glitt über ihre Züge, bevor der Schmerz sich wieder auf ihnen ausbreitete. »Das mache ich nicht mehr. Niemals.«
Beim letzten Wort war ihr Tonfall schärfer geworden, und ich wusste, dass sie an ihre ersten Tage als Vampirin dachte, als das Arschloch, das sie erschaffen hatte, ihr Menschen zum Fraß vorgeworfen hatte. Und so verrauchte mein letztes bisschen Zorn, auch wenn ich noch immer ziemlich frustriert war.
»Du musst doch beim Blutsaugen niemandem Schaden zufügen, Justina«, warf Bones ein. »Aber wie du schon festgestellt hast, kannst du deine Blutgier nicht einfach fortwünschen. Und mit Tierblut wirst du dich nicht lange über Wasser halten können.«
»Vielleicht brauche ich einfach mehr davon. In den Packungen war ja nicht viel«, beharrte sie.
Im Geiste sah ich meine Mutter nächtens umherschleichen und an Kühen und Ziegen saugen. Was, wenn die Chupacabra-Legende da ihren Ursprung hatte? Lauter verklemmte Vampire wie meine Mutter, die nicht akzeptieren konnten, was sie waren? Im Augenblick hätte mich nichts mehr überraschen können.
»Du könntest einen ganzen Schlachthof leer saufen und wärst trotzdem noch scharf auf den nächsten Menschen, der dir über den Weg läuft«, war Ians umbarmherzige Antwort. »Wir hätten es leichter, wenn wir nicht auf Menschenblut angewiesen wären, aber das sind wir, und du bist da keine Ausnahme.«
»Selbst wenn ich niemandem wehtun muss, weigere ich mich, einem Menschen den freien Willen zu rauben, damit er mir sein Blut gibt«, entgegnete meine Mutter. »Wenn ich also keine Blutbanken bestehlen will, sehe ich keine Lösung.«
»Nimm mich.«
Ruckartig wandte ich mich Tyler zu. Ich war beinahe so verdutzt, wie meine Mutter aussah. Tyler zuckte mit den Schultern.
»Keines ihrer Bedenken trifft auf mich zu, weil ich mich freiwillig anbiete, sodass sie mir nicht meinen Willen rauben muss, und niederhalten und ihre Zähne in mich schlagen muss sie auch nicht.«
»Bist du dir sicher?« Ich wollte nicht, dass er sich unter Druck gesetzt fühlte, weil er als Einziger einen Puls hatte. Wir konnten das auch anders regeln. Viele Vampire verfügten über freiwillige Blutspender. Ein paar Anrufe, und schon hätte einer hier sein können, auch wenn es wegen Kramers Erst-umbringen-dann-begrüßen-Devise schnell hätte gehen müssen.
»Mir ist es lieber, sie trinkt jetzt, wo jemand da ist, der sie unter Kontrolle halten kann, ein bisschen von mir, als dass sie hier rumsitzt und irgendwann wieder die Gäule mit ihr durchgehen.« Dann sah er mit strengem Blick meine Mutter an. »Und das wird wieder passieren. Du siehst mich ja jetzt schon an, als wäre ich ein saftiges Riesensteak. Rausschmeißen kann ich dich auch nicht. Cat würde eingehen vor Sorge um dich und die armen Schweine, die du womöglich beißen würdest.«
Schließlich wandte er sich mit verschränkten Armen Bones zu . Das ist kein Gratisangebot, aber über den Preis reden wir, wenn Mama nicht dabei ist, und nur, dass du’s weißt: Ich bin nicht billig, schickte er in Gedanken an Bones.
Ich fand es nicht ehrenrührig, ihn zu bezahlen. Immer noch besser, als wenn er sich dazu verpflichtet oder gedrängt gefühlt hätte. Der Anflug eines Lächelns spielte um Bones’ Lippen. Er nickte, und Tyler krempelte den Ärmel hoch, um meiner Mutter den bloßen Arm hinzuhalten.
»Noch habe ich nicht Ja gesagt«, warf meine Mutter ein, aber ihr Blick hing bereits an den pulsierenden Blutgefäßen unter Tylers kaffeebrauner Haut.
Ian schnaubte. »Ich habe noch nie einen weniger überzeugenden Protest gehört.«
»Du machst das jetzt, und zwar sofort«, befahl ich meiner Mutter streng. »Tyler hat recht. Solange du deine Gier nicht unter Kontrolle hast, bist du eine Gefahr für Tyler und jeden anderen Menschen, und ich weiß, dass du nicht versehentlich jemandem wehtun willst.«
»Wieder« wollte ich nicht sagen, aber das Wort hing unausgesprochen im Raum. Meine Mutter zwang sich, den Blick von Tylers Venen zu lösen, um erst mich und dann Bones anzusehen. Es war ihr merklich
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