Verloren: House of Night 10 (German Edition)
Türöffnungen meiner Freunde vorbei bis zu der Ausbuchtung, die wir als Gemeinschaftsraum und Küche benutzten. Hier endete der Tunnel mehr oder weniger in einer Sackgasse, wurde aber so breit, dass mehrere Tische, Computer und große Kühlschränke Platz hatten. »Irgendwo da drin ist bestimmt noch eine Cola«, murmelte ich vor mich hin und begann, den ersten der Kühlschränke zu durchwühlen.
»Im anderen«, sagte da eine Stimme.
Ich quiekte echt dämlich und zuckte zusammen. »Shaylin! Himmel, was schleichst du hier rum! Ich hab mir fast in die Hose gemacht vor Angst.«
»Sorry, Zoey.« Sie ging zu dem zweiten der drei Kühlschränke, holte eine Dose Cola mit der vollen Ladung Zucker und Koffein heraus und reichte sie mir mit entschuldigendem Lächeln.
Ich setzte mich auf den nächstbesten Stuhl und nahm einen Schluck. »Solltest du nicht schlafen?« Ich gab mir ehrlich Mühe, nicht so grummelig zu klingen, wie ich mich fühlte.
»Na ja, ich bin schon müde und so. Ich kann spüren, dass die Sonne noch nicht untergegangen ist, aber mir geht so viel durch den Kopf. Verstehst du?«
Ich schnaubte leise. »Ich versteh dich total.«
»Deine Farben sind ein bisschen durcheinander.« Sie sagte das so beiläufig, als mache sie eine Bemerkung über die Farbe meines T-Shirts.
»Shaylin, ich kapier immer noch nicht ganz, was du mit diesen Farben sagen willst.«
»Ich bin mir auch nicht sicher, wie viel davon ich wirklich kapiere. Ich weiß nur, dass ich sie sehe, und wenn ich nicht zu viel darüber nachdenke, ergeben sie normalerweise Sinn.«
»Pass auf, gib mir doch ein Beispiel dafür, wie sie normalerweise Sinn ergeben.«
»Okay, das ist einfach. Ich nehme dich als Beispiel. Deine Farben verändern sich nicht viel. Meistens bist du lila mit silbernen Flecken. Selbst als ihr gestern Nacht zu dem Ritual bei deiner Grandma aufgebrochen seid und du wusstest, dass wahrscheinlich ein schlimmer Anblick auf dich zukam, blieben deine Farben wie immer. Ich hab’s nachgeprüft, weil ich …« Sie verstummte.
»Weil du?«, bohrte ich.
»Weil ich neugierig war. Ich hab all eure Farben geprüft, bevor ihr abgefahren seid. Aber, also, gerade eben wurde mir klar, wie indiskret das klingt.«
Ich runzelte die Stirn. »Es ist doch nicht so, als würdest du unsere Gedanken lesen. Oder?«
»Nein!«, versicherte sie. »Aber je länger ich diesen Wahren Blick habe und je mehr Übung ich bekomme, desto klarer wird er für mich. Ich glaube, er sagt mir einiges über Leute, Zoey – einiges, von dem manche vielleicht lieber hätten, wenn es verborgen bleiben würde.«
»Wie Neferet. Du hast gesagt, nach außen sieht sie toll aus, aber innen hat sie die Farbe von toten Fischaugen.«
»Ja, ungefähr so. Aber auch das, was ich bei dir sehe. Wie Kramisha sagen würde, ich stecke die Nase in Sachen, die mich nichts angehen.«
»Na, dann sag mir doch, was du bei mir siehst, und ich sage dir, ob ich glaube, dass du die Nase zu sehr in Sachen steckst, die dich nichts angehen.«
»Also, seit ihr von dem Ritual zurück seid, sind deine Farben dunkler.« Sie hielt inne, sah mich genau an, schüttelte den Kopf und berichtigte sich: »Nein, das stimmt nicht ganz. Sie sind nicht bloß dunkler – sie sind auch verwischter. Als ob sich das Lila und das Silber vermischen und gegenseitig schmutzig machen würden.«
»Okay«, sagte ich. So langsam verstand ich, was sie mit indiskret meinte. »Du siehst eine Veränderung bei mir, und das ist ein bisschen komisch, gerade weil meine Farben sich sonst kaum verändern. Aber was bedeutet das für dich?«
»Oh, ja, sorry. Ich glaube, du bist wegen irgendwas verwirrt – irgendwas Wichtigem. Es beschäftigt dich. Es lässt dich überhaupt nicht los. Kann das sein?«
Ich nickte. »Kann sein.«
»Und findest du es unangenehm, dass ich das weiß?«
Ich nickte wieder. »Schon ein bisschen.« Ich dachte eine Sekunde lang nach und fügte hinzu: »Aber pass auf: Es würde mir weniger ausmachen, wenn ich wüsste, dass ich mich darauf verlassen kann, dass du nicht überall herumerzählst, dass meine Farben sich vermischen und ich wegen irgendwas total verwirrt bin. Das wäre nämlich das Indiskrete daran.«
»Okay.« Sie klang traurig. »Dachte ich mir auch schon. Ich verspreche dir, dass du mir vertrauen kannst. Ich bin keine Labertasche. Überhaupt – was Nyx mir geschenkt hat, als sie mich Gezeichnet hat, ist so total unglaublich. Ich kann wieder sehen , Zoey.« Shaylin sah aus, als würde sie
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