Verloren: House of Night 10 (German Edition)
war Zoey? Hatten die Kreaturen des Dunstes sie mitgenommen? Hatten sie sich deshalb zerstreut? Fieberhaft suchte er mit den Blicken den Kreis ab. Schließlich fand er Zoey neben Stark, umgeben von ihren Freunden. Sie sah traurig, aber unverletzt aus. Aufmerksam folgte sie Thanatos’ Worten. Abgesehen davon, dass sie den Tod des Schwertmeisters betrauerte, schien alles in Ordnung mit ihr zu sein. Vor Erleichterung wurde Aurox so schwach zumute, dass er fast den Halt verloren hätte.
Einen langen Moment musterte er sie. Sie hatte diesen inneren Konflikt in Gang gesetzt, der ihn beschäftigte. Warum? Sie war ihm fast ein ebensolches Rätsel wie die Gefühle, die sie in ihm geweckt hatte.
Dann wandte er seine Aufmerksamkeit Thanatos zu. Sie schritt ruhig den Rand des Elementkreises ab und sprach in solch warmem Ton, dass selbst seine aufgeriebenen Nerven sich beruhigten.
»Unser Schwertmeister starb, wie er gelebt hatte – als Krieger, seinem Eid treu, ebenso wie seinem House of Night und seiner Göttin. Doch vor einer Tatsache dürfen wir nicht die Augen verschließen. Sosehr wir sein Dahinscheiden bedauern, wir müssen uns eingestehen, dass er ohne seine Gemahlin, unsere liebe Anastasia, nur noch eine Hülle seiner selbst war.« Aurox spähte zu Rephaim. Er wusste, dass dieser noch als Rabenspötter Anastasia Lankford getötet hatte. Welche Ironie, dass der Schwertmeister gestorben war, um ihn zu beschützen. Und wie viel größere Ironie lag darin, dass der Junge mit tränenüberströmtem Gesicht offen über Dragons Tod weinte.
»Der Tod war gütig zu Dragon Lankford. Nicht nur gewährte er ihm, als Krieger zu sterben, sondern führte ihn auch der Göttin zu. In Nyx sind Dragon Lankford und seine Liebste nun wieder verbunden, ebenso wie die hellleuchtenden Geister ihrer beiden vertrauten Katzen Shadowfax und Guinevere.«
Ihre Katzen sind auch gestorben? Aber es waren doch keine Katzen bei dem Ritual. Verwundert musterte Aurox den Scheiterhaufen. Nun, da er genau hinsah, erkannte er tatsächlich zu beiden Seiten des gefallenen Kriegers je ein kleines verhülltes Bündel.
Genau vor Zoey hielt Thanatos in ihrem Schritt inne. Die Hohepriesterin lächelte die Jungvampyrin an. »Da dir, Zoey Redbird, die Gnade zuteil wurde, die Anderwelt zu betreten und zurückzukehren, sag uns, was regiert dort vor allem anderen?«
»Liebe«, sagte Zoey ohne Zögern. »Liebe, auf immer und ewig.«
»Und du, James Stark? Was ist dir in der Anderwelt begegnet?«, fragte Thanatos den jungen Krieger, der Zoey den Arm um die Schultern gelegt hatte.
»Liebe«, entgegnete er mit klarer, kräftiger Stimme. »Nur Liebe.«
»Und dies ist die Wahrheit.« Thanatos nahm ihren Weg am Kreis entlang wieder auf. »Auch meine Nähe zum Tod hat mir Einblicke in die Anderwelt gewährt. Doch was ich sehen durfte, hat mich gelehrt, dass die Liebe uns zwar erhalten bleibt, wenn wir von einem Reich ins nächste überwechseln, aber nicht in Ewigkeit bestehen kann, wenn sie nicht mit Edelmut gepaart ist – ebenso wie das Licht nicht ohne Hoffnung und die Finsternis nicht ohne Hass bestehen könnten. In Kenntnis dieser Tatsache möchte ich euch alle bitten, weitherzig und gnädig unseren neuen Schwertmeister und Anführer der Söhne des Erebos willkommen zu heißen, meinen eidgebundenen Krieger Kalona!«
Aurox war nicht weniger überrascht, als es auf vielen der Gesichter unter ihm zu lesen war, als Kalona, der geflügelte Unsterbliche, der, wie er wusste, lange auf der Seite der Finsternis gestanden hatte, im Kreis erschien und auf Thanatos zutrat. Er legte die Faust übers Herz und verneigte sich respektvoll. Dann hob er den Kopf, und seine tiefe Stimme erfüllte die Luft.
»Ich habe geschworen, dem Tod als Krieger zu dienen, und dies werde ich halten. Ich habe geschworen, diesem House of Night als Schwertmeister zu dienen, und auch das will ich halten. Doch werde ich nicht versuchen, Dragon Lankfords Platz als Anführer der Söhne des Erebos einzunehmen.« Aurox sah, dass Thanatos Kalona genau beobachtete, wobei ihre Miene ihm erfreut vorkam. Unter den Kriegern, die den Kreis umstanden, entstand Unruhe, als wüssten sie nicht, was sie von der Verkündigung des Unsterblichen halten sollten.
»Ich werde dem Tod als Krieger dienen«, wiederholte Kalona. Obwohl er Thanatos dabei ansah, trug seine Stimme weit über den Kreis und die versammelte Menge hinaus. »Ich werde Euch und diese Schule beschützen. Doch ich werde keinen Titel annehmen, der mich
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