Verloren: House of Night 10 (German Edition)
Gehirn – stell dir vor. Und das sagt mir, dass man, wenn die zwei tatsächlich miteinander rummachen, mit der Suche vielleicht in Erins Zimmer anfangen sollte. Das früher einmal ihr und Shaunee gehörte.«
»Schön.« Shaylin zögerte. »Und welches Zimmer ist das?«
»Zweiter Stock, Nummer sechsunddreißig. Als sie noch ein gemeinsames Hirn hatten, haben sie immer behauptet, das sei ihre Klamottengröße. Ich fand immer, es entsprach ungefähr ihrem kombinierten IQ.«
»Ja, natürlich.«
»Na siehst du, wir verstehen uns doch!«, rief Aphrodite mit gespieltem Enthusiasmus. »Bis gleich am Bus. Beeil dich.« Sie wollte davongehen, hielt aber noch einmal inne und fügte hinzu: »Bitte.«
Shaylins Augen weiteten sich.
Aphrodite verdrehte die Augen und öffnete den Mund, wahrscheinlich, um wieder etwas Gehässiges zu sagen. Dann aber starrte sie nur einen langen Augenblick nach oben, sah Shaylin an und sagte: »Anscheinend kriegst du deinen Wunsch erfüllt. Die Regenwolken verziehen sich.«
Dann warf sie ihr Haar zurück und stöckelte davon.
Shaylin schüttelte den Kopf. »Die hat echt einen an der Waffel.« Sie machte sich auf den Weg zum Mädchen-Wohngebäude. »Nyx, ich kenne dich nicht gut, und bitte halt mich nicht für fies oder blasphemisch oder so was, aber Aphrodite als deine Prophetin? Warum?«
»Das weiß niemand, ich vermute, nicht einmal Aphrodite selbst.«
Shaylin fuhr vor Schreck zusammen, als Erik Night aus dem Schatten eines nahe stehenden Baumes hervortrat.
»Erik! Was machst du da?« Sie legte sich die Hand über die Kehle, damit er nicht sehen konnte, wie heftig ihr Puls pochte – und nicht nur, weil er sie erschreckt hatte. Immer wenn sie ihn sah, war da zuerst nur dieser überwältigende Eindruck von Groß-Dunkel-Atemberaubend. Erst wenn sie seine Farben erspähte, verlor sich der Bann seiner äußeren Attraktivität. Shaylin hatte angefangen, ihn mit so einer wunderschön bemalten Tonschale zu vergleichen, in die man am liebsten sofort einen tollen frischen Salat gefüllt hätte. Aber wenn man sie umdrehte, sah man den Aufkleber am Boden, auf dem stand: WARNUNG: NICHT FÜR LEBENSMITTEL GEEIGNET.
»Sorry, ich wollte dich nicht erschrecken. Ich fröne nur gerade einem Anfall von Aufschieberitis.« Sein Lächeln strahlte wie eine Hunderttausend-Watt-Birne. Shaylin wusste schon, warum fast der gesamte weibliche Anteil der Jungvampyre in ihn verknallt war. Das Problem war, sie sah auch das, was sich hinter seiner Traumtyp-Fassade befand.
»Ich wollte dich nicht stören. Fröne nur weiter. Bis dann.«
»Hey.« Als sie an ihm vorbeiging, berührte er flüchtig ihren Arm, was sie dazu brachte, anzuhalten. »Ich dachte, wir wären Freunde.«
Shaylin musterte ihn genau. Als Erik sie Gezeichnet hatte, hatten seine Farben hauptsächlich aus einem unentschlossenen Erbsengrün bestanden, mit ein paar Spuren von etwas, was Gold hätte sein können – wie Sonnenstrahlen –, aber sie waren zu flüchtig gewesen, als dass sie sich sicher gewesen wäre. Abgesehen davon war alles einfach nur irgendwie neblig und wischiwaschi gewesen. In den letzten Tagen hatte sie seinen Farben nicht viel Beachtung geschenkt, daher war sie überrascht zu sehen, dass sein Grün zwar noch da war, sich aber aufgehellt hatte und nicht mehr an Erbsenbrei erinnerte. Sondern an Türkis – wie das eines klaren Meeres an einer südlichen Küste. Und um das Grünblau herum hatte sich der dunstige graue Mischmasch gehoben, und darunter kam ein gleichmäßiges Hellbraun zum Vorschein, wie Sand an einem wunderschönen unberührten Strand. Es war, als fiele sie unvermutet in tiefes Wasser. Shaylin versuchte, sich ihre Nervosität nicht anmerken zu lassen, und gab zurück: »Ja, sind wir, aber nicht mehr.«
»Um mehr hab ich doch auch nicht gebeten, oder?«
Shaylin sah ihm in die Augen. Sie waren leuchtend blau – und wanderten viel zu oft nach unten in Richtung ihres Busens. Es kam ihr aber etwas zu aphroditemäßig vor, zu sagen: ›Schon, aber du hättest nichts dagegen, das seh ich doch‹. Stattdessen beließ sie es bei einem weniger bösen: »Nein. Um mehr hast du nicht gebeten .«
Sein Lächeln kehrte zurück. »Dann können wir Freunde sein?«
Es war schwer, nicht zurückzulächeln, und ehrlich gesagt hätte sie auch nicht gewusst, warum sie es sich verkneifen sollte. Sie grinste und nickte. »Jep. Freunde.«
»Cool. Kann ich dich begleiten, wohin du auch auf dem Weg bist? Meiner Aufschieberitis kann ich
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