Verloren: House of Night 10 (German Edition)
besser gehen, wenn du dir die Nase geputzt hast«, zog mich Stark sanft auf und reichte mir ein zerknülltes Taschentuch aus seiner Hosentasche.
»Du siehst völlig durch den Wind aus, aber wirklich«, sagte Aphrodite kopfschüttelnd – aber sie stand Schulter an Schulter mit dem Rest meines Kreises. Solidarisch. Vereint.
»Ich lüge nicht.«
Ich sah zu Aurox hinüber. Er war aufgestanden und blickte Thanatos an. Darius und Kalona hatten sich wachsam zwischen ihn und die Hohepriesterin gestellt. Nun wandte Aurox den Kopf, und seine Augen suchten meinen Blick. Erschrocken sah ich, dass Tränen darin standen. Er sah fast so am Boden zerstört aus, wie ich mich fühlte. Dann sah er wieder die Hohepriesterin an. »Fesselt mich. Sperrt mich ein. Ich werde mich jeder Strafe unterwerfen, die Ihr für mich bestimmt, aber bitte, um Sylvia Redbirds willen, glaubt mir. Ich bin nicht mit Neferet verbündet. Sie ist mir verhasst. Ich zürne ihr, dass sie mich aus Schmerz und Tod erschaffen hat. Um mich zu kontrollieren, muss sie meinen Körper von der Finsternis übernehmen lassen und mit deren Hilfe die Bestie in mir wecken. Ihr wisst, dass das wahr ist, Hohepriesterin.«
»Allem zufolge, was wir herausgefunden haben, scheint es tatsächlich die Wahrheit zu sein«, gab Thanatos zu.
»Dann hört mich an. Ich gebe Euch meinen Eid: Neferet hat Zoeys Großmutter entführt.«
Ich löste mich aus dem Kreis meiner Freunde und trat vor ihn hin. »Du hast nur diese eine Chance. Falls du uns anlügst – falls du irgendwas damit zu tun haben solltest, dass Grandma etwas angetan wurde, dann werde ich all meine fünf Elemente und sonstigen Gaben meiner Göttin nehmen und dich vernichten, egal, wo du dich verkriechst. Darauf gebe ich dir meinen Eid.«
Er neigte den Kopf. »Angenommen.«
»Besiegelt«, sagte Thanatos. »Alle Wesen mit einem eigenständigen Geist haben eine Wahl. Ich hoffe, du triffst die richtige, Aurox.«
»Das tue ich.«
»Ja, darauf haben wir deinen Eid.« Thanatos’ Blick wanderte durch die Runde. »Wir müssen in Neferets Penthouse eindringen.«
»Ich kann das machen«, sagte Aurox.
»Nein!«, riefen Darius, Stark, Kalona und ich wie aus einem Mund.
»Ich sollte keine Probleme haben, in ihr Scheißpenthouse zu kommen«, meldete sich Aphrodite. »Das Miststück glaubt, ich wäre genau so ein Miststück wie sie, was vielleicht teilweise stimmt, aber in Sachen Loyalität misst Neferet jeden an sich selbst – und sie hat keinen Funken davon. Sie wollte mich immer wieder für ihre Zwecke einspannen, und sie kann meine Gedanken nicht lesen. Also, ich kann gehen.«
»Sie würde dich vielleicht hereinlassen, aber sie würde dich niemals wissen lassen, ob sie Grandma Redbird gefangen genommen hat«, widersprach Aurox.
»Das ist richtig«, sagte Thanatos. »Sie würde ihre Gefangene zweifellos vor dir verbergen.«
»Aber vor mir nicht«, sagte Aurox. »Das würde sie nicht für nötig halten. Sie ist wahrscheinlich wütend auf mich, weil ich das Enthüllungsritual nicht verhindern konnte, aber ich glaube, sie wird mich lange genug dulden, dass ich herausfinden kann, ob sie Grandma Redbird gefangen hält.«
»Oder lange genug, um dich wieder unter ihre Kontrolle zu bringen«, gab Darius zu bedenken.
»Und dieses Ding in dir zu wecken«, fügte Stark hinzu.
»Aurox, wenn Neferet durch ein Opfer die Bestie weckt, wirst du dich nicht dagegen wehren können«, sagte Thanatos.
»Vielleicht hat sie gerade deshalb Zoeys Großmutter entführt.« Darius warf mir einen entschuldigenden Blick zu. »Vielleicht braucht sie, um Aurox wieder unter Kontrolle zu bekommen, ein größeres Opfer als lediglich die Katze eines Kriegers.«
»Nein! Nein – ich …« Aurox’ Stimme erstarb. Seine Schultern sackten nach vorn, und er vergrub das Gesicht in den Händen.
Ich konnte nur den Kopf schütteln, links, rechts, links, rechts. Stark nahm meine Hand und drückte sie. »Das lassen wir nicht zu. Wir holen Grandma zurück.«
»Aber wie?«, stieß ich zwischen Schluchzern hervor.
»Ich werde gehen«, erklärte plötzlich Kalona und sah mich an. »Und nicht nur als Kundschafter. Falls Neferet Sylvia Redbird gefangen hält, werde ich sie finden und retten. Vor mir kann die Finsternis nichts verbergen; zu lange und zu gut kenne ich sie schon. Neferet glaubt sich unverwundbar, weil sie zur Unsterblichen geworden ist, aber verglichen mit der Erfahrung und dem Wissen, die ich in Jahrhunderten gesammelt habe, ist sie ein kleines
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