Verloren in deiner Sehnsucht: Roman (German Edition)
hatte Gabriel über Portsmouth gesagt? »Allein schon an den Docks vorbeizugehen ließ meinen Magen vor Angst brennen.« Er war so naiv gewesen, sich vor dem Wasser, aber nicht vor den Menschen zu fürchten. Doch Antonia war sich sicher, dass die Menschen es gewesen waren, die seine Angst verdient gehabt hätten. Er war ein Kind unter Wölfen gewesen.
Es war, als läse Gabriel ihre Gedanken. Er beugte sich mit gespreizten Beinen vor und stützte die Ellbogen auf die Knie. »Weißt du, wie das Leben für die Jungen war, die auf solchen Schiffen zur See gefahren sind?«, fragte er und hielt den Kopf in den Händen. »Hast du eine Ahnung von den ... Demütigungen, die sie ertragen mussten?«
»Nein.« Sie sprach sehr leise. »Aber mein Gefühl sagt mir, dass das Leben an Bord zu hässlich war, als dass ich es mir vorstellen könnte.«
»Ganz recht. Es ist ein Leben, von dem jemand, der wie du aufgewachsen ist, nichts wissen sollte.« Gabriel schien unfähig zu sein, sie anzusehen. »Es raubt dir deine Menschlichkeit, reduziert dich zu etwas, das weniger wert ist als irgendein Gegenstand. Es besudelt dich.«
»Aber du hast eine gute Erziehung genossen«, entgegnete sie. »Du bist nicht besudelt. Du bist ein starker und anständiger Mann, Gabriel.«
»Ich weiß mehr über diese Welt, als ich möchte, Antonia«, sagte er leise und presste jetzt die Fingerspitzen gegen seine Schläfen, als würde ihm der Kopf schmerzen. »Luke und Kieran – Lord Rothewell –, sie haben das alles begriffen, ohne dass wir je darüber gesprochen haben«, fuhr er fort. »Sie konnten sich denken, wie das Leben auf der Saint-Nazaire für mich gewesen sein musste – und offen gesagt, ich bin mir nicht sicher, ob ihr Leben sehr viel besser gewesen ist.«
»Wurdest du ... geschlagen?«
»O Gott, ja«, erwiderte er ruhig. »Aber nicht wie die normalen Seeleute. Sie wollten mich auf keinen Fall verunstalten. Ich war für sie wertvoller, wenn ich ... gut und gesund aussah. Antonia, verstehst du, was ich damit sagen will?«
»Ich ... ich bin mir nicht ganz sicher.« Sie wollte ihn trösten, indem sie die Hand leicht auf sein Knie legte. Gabriel zuckte zusammen, als hätte sie ihn geschlagen. Sie zog die Hand zurück. »Wollten sie dich verkaufen?«, fragte sie, und beschwor damit das Schlimmste herauf, was sie sich vorstellen konnte. »Oder ... oder dich wie einen afrikanischen Sklaven eintauschen?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Nein, das nicht.«
Antonia war frustriert, weil sie offensichtlich nicht in der Lage war, etwas zu begreifen, was Gabriel so tief zu berühren schien. »Aber ich will es verstehen«, flüsterte sie. »Ich will wissen, was du durchgestanden hast. Es ist wohl oder übel ein Teil von dir, Gabriel.«
»Ja, es ist ein Teil von mir.« Er ließ die Hände sinken, schaute aber für lange Zeit auf den See hinaus, wich ihrem Blick aus. »Antonia, ein Schiff ist wochenlang auf See, oft sogar monatelang«, sprach er schließlich weiter. »Im Allgemeinen sind keine Frauen an Bord. Deshalb ist es stillschweigend üblich, dass die Offiziere und die Mannschaft ... dass sie die jüngeren, wehrloseren Seeleute, Schiffsjungen und Ähnliches benutzen dürfen. Für ihre ... sexuelle Befriedigung.«
Antonia wurde plötzlich schlecht. »Für ihre sexuelle Befriedigung?«, wiederholte sie. »Ich weiß nicht ... Ich kann nicht ...«
Endlich wandte er den Kopf und sah sie an. Seine Miene war eine Maske der Qual, sein schönes Gesicht verzerrt. »Verstehst du, was ich dir sage, Antonia? Hast du jetzt genug gehört, um mich endlich abstoßend zu finden?«
Sie schüttelte den Kopf, fühlte sich ein wenig schwindelig, als ob die Welt um sie herum davonschwebte.
Seine Gesichtszüge verhärteten sich. »Man nennt es Analverkehr, Antonia.« Gabriels Stimme drang wie aus weiter Ferne an ihr Ohr. »Das ist es, wofür sich solche Männer kleine Jungen halten. Sie vergewaltigen sie. Verkehren anal mit ihnen – und tun manchmal noch Schlimmeres.«
Antonias Hand begann zu zittern. »Mein Gott«, wisperte sie, »aber wie? Ich meine, wie können sie nur ... so etwas tun?«
Gabriel missverstand ihre Frage. »Wie?«, fragte er. »Sie machen dich mit Peitschenschlägen und Erniedrigungen mürbe, bis sie dich zu einem ... zu einem perversen Etwas degradiert haben. Zu einem schwachen, furchtsamen Ding, das sie für ihre eigene Befriedigung benutzen können. Nach einer Weile bist du dann einfach still und lässt sie gewähren. Du lernst, sie zu
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