Verloren in deiner Sehnsucht: Roman (German Edition)
Rückgrat wie aus Sheffield-Stahl. Jetzt schaute sie Kemble über den Rand ihrer Drahtbrille hinweg an. »Kann ich Euch irgendwie behilflich sein, Mr. Kemble?« Kemble lächelte. »Ja, Ma’am. Ich habe mich gefragt, ob Ihr wohl so freundlich wäret –«
»– Euch einige Fragen zu beantworten?« Sie runzelte die Stirn. »Ihr platzt ja fast vor Neugierde, nicht wahr?«
Kemble versuchte beschämt auszusehen, aber erfolglos. »Das ist wohl wahr, aber ich bin von Natur aus schon sehr wissbegierig«, gestand er.
»Es ist mehr als das, würde ich meinen«, murmelte die Haushälterin. »Aber nur zu, Mr. Kemble, behaltet Eure Geheimnisse für Euch. Ich bin sicher, der neue Herr weiß, worum es sich handelt. Wie kann ich helfen?«
Kemble zog sich einen Stuhl heran. »Können wir uns setzen?«
»Du meine Güte!« Sie legte ihre Brille beiseite. »Gewiss doch.«
Kemble schlug ein Bein über das andere und ließ ein weiteres Lächeln aufblitzen. »Ich habe mich nur gefragt, was aus der Zofe geworden ist, die vor Mrs. Waters hier diente, Mrs. Musbury.«
Die Haushälterin wirkte überrascht. »Aus Miss Pilson? Nun, sie kam im Dienst der Duchess hierher – der dritten Duchess. Nach deren tragischem Ableben ging Miss Pilson zu einer der Schwestern der Duchess, so glaube ich. Sie diente schon sehr lange in der Familie.«
»Habt Ihr Euch gut mit ihr verstanden, während sie hier war?«
»Oh, aber ja!«, erwiderte die Haushälterin. »Sie war ein äußerst liebenswertes Geschöpf und sehr gewissenhaft in ihrer Arbeit.«
Kemble dachte sorgfältig darüber nach, wie er die nächste Frage am besten stellen sollte. »Darf ich fragen, Ma’am, ob Miss Pilson Euch jemals etwas anvertraut hat, das persönlicherer Natur war? Über die Duchess, meine ich?«
Mrs. Musbury sah leicht pikiert aus. »Ich weiß nicht, was Ihr anzudeuten versucht.«
»Gar nichts, das versichere ich Euch.« Kemble machte eine beschwichtigende Geste. »Aber ich könnte mir offen gestanden denken, dass ihr Job sehr anstrengend war. Sie muss ständig um ihre Herrin in Sorge gewesen sein, da – und entschuldigt, dass ich auf diesen Klatsch etwas gebe – ihre Herrin doch sehr unglücklich gewesen sein soll.«
Mrs. Musbury schwieg einen Moment. »Ihr seid nicht wirklich als Kammerdiener oder Sekretär hier, nicht wahr, Mr. Kemble?«
Kembles Lächeln wurde breiter. »Lasst uns sagen, dass es einige Dinge gibt, die der neue Duke gern geklärt haben möchte«, erwiderte er. »Und wer kann diese Dinge besser in Ordnung und in Erfahrung bringen als ein Kammerdiener? Oder auch ein guter Sekretär?«
Die Haushälterin schien über die Erklärung nachzudenken. »Ihr müsst wissen, dass ich erst seit relativ kurzer Zeit auf Selsdon bin«, sagte sie. »Ich führe den Haushalt und bin zuständig für die weiblichen Dienstboten, die eben mit jenem Haushalt zu tun haben. Die Zofen fallen nicht in meinen Bereich. Als ich in den Dienst des alten Dukes trat, war Miss Pilson bereits hier. Nach einer Weile freundeten wir uns an. Und ja, sie war sehr besorgt um ihre Herrin. Die Duchess war keine besonders glückliche Frau.«
»War sie krank?«
»Sie stand unter großer Anspannung«, sagte Mrs. Musbury, »und war zudem eine sehr zurückhaltende Lady, die sich nicht wohlfühlte, wenn sie mit Leuten zusammen war, die sie nicht gut kannte.«
»Und wie war es bei Leuten, die sie kannte?«, wollte Kemble wissen. »Hatte sie Freundinnen?«
»Ein paar. Aber als Gattin des Dukes gab es hier nicht viele, die ihrem gesellschaftlichen Rang entsprachen. Trotzdem hat sie die Gesellschaft des hier ansässigen Adels genossen.«
Kemble grinste. »Ich würde wetten, dass Lady Ingham recht regelmäßig hier gewesen ist.«
Mrs. Musburys Lächeln wirkte verhalten. »Ja, das war sie. Und Mary Osborne, die Mutter des Doktors, hat sie häufig begleitet. Sie waren recht vernarrt in die Duchess. Etwa zu der Zeit, als ich hierherkam, sind auch die Hamms nach St. Alban’s gezogen. Die Duchess und Mrs. Hamm waren ungefähr im gleichen Alter, aber Mrs. Hamm besuchte Selsdon immer nur in Begleitung ihres Mannes. Der verstorbene Duke schien die Gesellschaft der beiden sehr zu mögen.«
Ja, das wette ich , dachte Kemble.
»War er ein religiöser Mensch, der Duke?«, fragte er und versuchte keine Miene zu verziehen.
»Nicht sehr«, sagte Mrs. Musbury, schien aber nicht geneigt, sich weiter darüber auszulassen.
»Stimmt es denn, dass die verstorbene Duchess regelmäßig medizinische Tränke zu
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