Verloren in deiner Sehnsucht: Roman (German Edition)
huschte. Er legte ihr die Hände auf die Schultern, als wollte er sie schütteln. »Antonia, wer bin ich?«
Plötzlich flackerte ein schwaches Licht im Turm hinter ihnen auf. Schlurfende Schritte hallten weiter unten auf der Treppe. Antonia machte eine Bewegung, als wollte sie gehen, aber er packte sie am Arm.
»Mein Name«, wiederholte er, »ich will ihn nur ein einziges Mal aus deinem Mund hören.«
»Gabriel«, wisperte sie und sah ihn dabei an, »du bist ... der Engel Gabriel.«
Er ließ sie los.
Gabriel. Das war nicht sein Name. Schon lange nicht mehr.
»Mylady?« Die Stimme eines Dieners drang leise die Treppe zu ihnen herauf. »Euer Gnaden, seid Ihr dort oben?«
Antonia schlüpfte durch die Tür ins Turminnere und huschte die dunkle Wendeltreppe hinunter. Sie war sicher. Sie war fort.
Worauf wartete er also? Gareth wandte sich um und ging rasch zum gegenüberliegenden Ende des Wehrgangs. Der Nieselregen perlte kalt auf seinem Gesicht, seine Slipper waren durchnässt. Er fror. Aber alle Qual, alles körperliche Unbehagen konnte die eine schreckliche Frage nicht verdrängen: Was, um Gottes willen, hatte er getan?
Kapitel 6
D er Großvater hielt Gabriels Hand, als er ihn durch das Labyrinth an Gassen von Moorgate führte. Die Abenddämmerung wurde zur Nacht, und die Ladeninhaber schlossen die Fensterläden.
»Sind wir noch weit von zu Hause entfernt, Zayde ?«
»Wir sind fast da, Gabriel«, antwortete er. »Hat dir der Besuch in der Bank gefallen? Beeindruckend, nicht wahr?«
»Ich denke schon«, antwortete er. »Sie war sehr groß.« In diesem Moment wurde ein Stück die Gasse hinauf eine Tür aufgestoßen, und Licht fiel auf den gepflasterten Weg. Eine lärmende Gruppe von Männern trat heraus. Einige von ihnen hielten einen Mann an den Armen fest. Der Festgehaltene fluchte und versuchte sich zu befreien.
»Sha shtil«, wisperte Zayde und zerrte Gabriel in den Schatten eines Hauses.
Vom Körper seines Großvaters gegen die kalte Mauer gedrückt war Gabriel die Sicht versperrt. Die Rufe und das Geräusch der über den Boden schleifenden Schritte konnte er dafür umso besser hören.
»Lasst mich los, verdammt!«, schrie der Mann. »Hilfe! Um Gottes willen, Hilfe!«
»Scheiß drauf, Nate!«, knurrte einer der Männer. »Du hast doch gesagt, er sei zu betrunken, um sich zu wehren!«
»Dann fessle ihm doch die Füße, verdammt.«
»Nein, nein! Ich bin Segelmacher!«, brüllte der Mann. Gabriel hörte, wie der Mann sich wehrte und versuchte sich von seinen Häschern loszureißen. »Ich habe einen Schutzbrief! Ich bin geschützt! Ihr könnt mich nicht mitnehmen!«
»Oi gevalt!«, murmelte der Großvater. »Armer Teufel.«
Schon bald war der Tumult vorüber, und die Zwangsrekrutierer waren in der Dunkelheit verschwunden. Zayde griff nach Gabriels Hand und eilte mit ihm weiter. »Was hat der Mann getan, Zayde ?«
»Zu viel mit Männern getrunken, die er nicht kannte«, erwiderte er. »Die Engländer brauchen dringend Seeleute, und für die Zwangswerber ist fast jeder hier Freiwild.«
»Aber ... aber das können sie doch nicht tun«, sagte Gabriel. »Sie können einen doch nicht einfach mitnehmen, oder d ... doch?«
»Oi vey, Gabriel«, sagte sein Großvater. »Deshalb sage ich dir ja, dass du dich von ihnen fernhalten sollst. Halte dich an dich selbst, tatellah , und an deinesgleichen. Aber hörst du jemals auf mich? Tust du das?«
Er wartete, dass sie zum Frühstück kam; wartete, bis die Flammen unter den Rechauds erloschen und der Kaffee kalt war. Wartete, bis die Diener unruhig von einem Fuß auf den anderen traten, als würde die Pflicht sie an eine andere Stelle rufen. Doch Antonia tauchte nicht auf.
Ja, Eure Gnaden nahm das Frühstück üblicherweise im Frühstückszimmer ein, bestätigte einer der Diener. Ja, bekräftigte ein anderer, Eure Gnaden war eine Frühaufsteherin und normalerweise immer sehr pünktlich. Also stocherte Gareth in seinem Essen herum, nippte an seinem Kaffee und wartete. Und zwar so lange, bis eins der vorbeikommenden Hausmädchen den Kopf durch die Tür des Frühstückszimmers steckte und finster die Anrichte mit den kaum angerührten Speisen musterte.
Coggins befand sich unmittelbar hinter der Hausangestellten. »Mr. Watson ist zurückgekehrt, Euer Gnaden«, meldete der Butler mit einer steifen Verbeugung. »Er hat die Dreschmaschine in den Getreidespeicher bringen lassen und erwartet Euch, wann immer es Euch beliebt.«
Gareth konnte den Tag und die Arbeit, die
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