Verloren in deiner Sehnsucht: Roman (German Edition)
vor ihm lag, nicht noch länger aufschieben. Antonia würde ohnehin nicht erscheinen. Und warum sollte ihm das auch etwas ausmachen? Wenn die verdammten Dienstboten wie träge Hummeln um sie herumsummten, könnten sie sowieso kein sinnvolles Gespräch führen. Vermutlich hatte er einfach nur den Wunsch gehabt, sie zu sehen. Sich zu vergewissern, dass sie wohlauf war.
Aber die Sorge war unberechtigt. Die Frau verfügte schließlich über eine Zofe und eine Armee von Lakaien, die sich um sie kümmerte. Gareth schob den Stuhl mit einem lauten Kratzen über den Boden zurück und warf seine Serviette auf den Tisch. Aber als er durch das Haus ging und den rosenberankten Laubengang betrat, der das Hauptgebäude mit den Büros und Werkstätten des Anwesens verband, kochte er vor Frustration.
Er wurde gemieden. Er spürte es.
Vielleicht, dachte er, als er die letzte Treppenflucht hinuntereilte, schämte sie sich auch einfach nur zutiefst. Das könnte er sogar verstehen. Schließlich fühlte auch er sich voller Scham. Allein der Gedanke daran, wie verzweifelt sie einander berührt hatten – der Hunger, die wilde Leidenschaft –, ließ seine Hände zittern. Was sie letzte Nacht im Regen getan hatten, konnte nicht ungeschehen gemacht werden. Sie mussten mit der Erinnerung daran leben, beide, ihr gesamtes künftiges Leben lang.
Flüchtig erwog Gareth, Antonia die Erlaubnis zu verweigern, nach Knollwood Manor zu ziehen. In diesem Fall würde sie Selsdon doch sicherlich verlassen, um in London zu wohnen? Dann würden sie sich vielleicht nie wiedersehen.
Aber was, wenn sie nicht fortging? Er hatte ihr angeboten, so lange auf Selsdon zu bleiben, wie sie es wünschte. Und selbst, wenn sie nach London ginge, würde er sie weiterhin sehen. Sowohl von ihm als auch von Xanthia wurde erwartet, sich in Kreisen zu bewegen, die sie bisher erfolgreich gemieden hatten. Doch andererseits: Würde er Antonia zwingen, nach London überzusiedeln, so würde er sie damit der Gesellschaft buchstäblich zum Fraß vorwerfen. Es wäre gut möglich, dass man sie schnitt oder ihr Schlimmeres antat.
Verdammt. Gareth blieb abrupt stehen und spürte, dass ein Kinnmuskel zu zucken begann. Er hatte sich in eine überaus peinliche Lage hineinmanövriert. Sie war schier unerträglich. Sie würden darüber reden müssen, beide, um zu einer Art Lösung zu kommen. Er würde Antonia aufsuchen, sobald diese Verwaltungsdinge erledigt wären. Entschlossen öffnete Gareth die Tür zum Büro des Verwalters.
Ein hoch aufgeschossener Mann mit spröden Gesichtszügen, gekleidet in einen wollenen Gehrock, trat auf ihn zu und bot ihm die Hand. »Euer Gnaden«, sagte er unverzüglich, »ich bin Benjamin Watson, Euer Verwalter.«
Es war Vormittag, und Antonia kniete in der Familienkapelle, als Nellie sie dort aufstöberte. Die Kapelle befand sich in einem Teil der alten Burg, der nicht beheizt wurde. Die Luft war verbraucht und wurde von Gerüchen nach geschmolzenem Wachs, vermoderndem Samt und feuchtem Mauerwerk erfüllt. Kaum Licht fiel in den Raum, abgesehen von dem, was durch die schmalen, längs unterteilten Fenster zu Seiten der Kanzel hereinfiel, und dem Schimmer der drei Kerzen, die Antonia nahe dem Altar entzündet hatte.
»Euer Gnaden?« Nellie spähte in das Dämmerlicht. »Ma’am, seid Ihr hier?«
Langsam erhob sich Antonia, und die tiefen Falten ihres Umhangs strichen über den kalten Steinboden. »Ja, Nellie. Ich bin hier.«
»Himmel, ich habe mich schon gefragt, wohin Ihr verschwunden seid.« Nellie ging durch den Altarraum. »Wie lange habt Ihr schon hier auf dem Boden gekniet, Ma’am?«
»Ich weiß es nicht genau«, wich Antonia einer Antwort aus.
»Meine Güte, hier drinnen ist es aber feucht und dunkel.« Nellie rieb sich die Arme, während sie sich umschaute. »Ihr werdet Rheumatismus bekommen, wenn Ihr noch länger hierbleibt, Mylady. Außerdem habt Ihr das Frühstück ausgelassen.«
Antonia lächelte schwach. »Ich hatte keinen Appetit«, murmelte sie. »Ich wollte ein wenig allein sein, aber natürlich hätte ich dir Bescheid sagen sollen.«
Nellie schaute auf die flackernden Kerzen. »Heute drei Kerzen, Ma’am?«
»Ja, eine ist für Eric«, erwiderte sie ruhig. »Ich ... ich denke, heute Morgen bin ich milde gestimmt.« Oder fühle mich schuldig, fügte sie im Stillen hinzu.
Nellie trat unbehaglich von einem Bein auf das andere. »Ich will Euch noch etwas sagen, Ma’am. Wegen letzter Nacht.«
Antonia wandte sich ab und ging den
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