Verloren in deiner Sehnsucht: Roman (German Edition)
Mittelgang hinunter. »Müssen wir unbedingt darüber sprechen, Nellie?«
Nellie folgte ihr. »Es tut mir leid, Ma’am«, sagte sie, indem sie Antonia leicht am Arm berührte. »Aber es war dort oben gefährlich für Euch, so ganz allein. Und auch noch bei dem Regen. Ihr könntet krank werden. Und Ihr habt mir einen großen Schrecken eingejagt.«
Antonia blieb an der Tür der Kapelle stehen. »Vergib mir, Nellie«, bat sie. »Es lag mir fern, so gedankenlos zu handeln.«
»Ihr habt Euren Schlaftrunk nicht genommen, nicht wahr?«, drängte die Zofe.
Antonia schüttelte den Kopf. »Ich ... ich dachte, ich würde ihn nicht brauchen. Ich habe ihn weggeschüttet.«
»Ihr habt mir Angst eingejagt, Ma’am«, sagte Nellie wieder. »Seit Jahren schon habe ich Euch nicht mehr in einem Zustand gesehen wie gestern Nacht.«
»Du musst dir keine Sorgen machen.« Antonia stieß die Tür auf und trat auf den Gang hinaus, wo die Luft frischer war. Sie blieb stehen und atmete tief durch. »Ich denke, dass die gestrige Anspannung doch größer war, als ich angenommen hatte, Nellie. In Zukunft werde ich vorsichtiger sein.«
»Ihr meint die Ankunft des neuen Herrn?«, fragte die Zofe. »Aye, alle waren gespannt. Aber für Euch steht mehr auf dem Spiel als für irgendeinen von uns.«
Antonia schwieg und zog ihren Umhang fester um sich.
»Verzeiht, Ma’am«, sagte Nellie, »aber gab es noch etwas, das Ihr mir sagen wolltet?«
»Was denn?«
»Etwas über ... über letzte Nacht vielleicht?«
Antonia schüttelte den Kopf. »Nein, nichts«, versicherte sie. »Gar nichts.«
»Nun gut«, sagte Nellie, während sie die Stufen hinuntergingen. »Werdet Ihr später am Morgen spazieren gehen, Euer Gnaden? Ich wusste nicht, welche Kleidung ich herauslegen sollte.«
Es war keine schlechte Idee, das Haus zu verlassen, dachte Antonia. Sie brauchte Abstand, und Nellie hatte überdies recht: Sie konnte nicht den ganzen Tag damit verbringen, in der Kapelle auf den Knien zu liegen.
»Wir könnten ins Dorf hinuntergehen«, schlug Nellie vor. »Ich werde all Eure schwarzen Bänder ersetzen und die graue Samthaube mitnehmen.«
»Nein, ich möchte nicht ins Dorf«, murmelte Antonia. »Aber danke, Nellie.«
Die Duchess sehnte sich danach, allein zu sein. Vielleicht bei einem Spaziergang durch den Wald? Sie könnte den längeren Weg hinauf zum Witwenhaus nehmen und sich dort ein wenig umsehen. Es konnte nicht in allzu schlechtem Zustand sein, außerdem stand es ihr nicht zu, wählerisch zu sein. Eventuell könnte sie sich durchaus mit etwas arrangieren, was ein wenig heruntergekommen war, und so Selsdon eher als geplant verlassen? Vielleicht hatte Gott ihre Gebete ja doch erhört.
»Nein, nicht ins Dorf«, wiederholte sie. »Nellie, ich denke, ich werde hinauf nach Knollwood gehen. Oder vielleicht in den Hirschpark, um dort ein wenig im Pavillon zu sitzen.«
Coggins saß in seinem kleinen Büro neben der großen Halle und sortierte die Morgenpost, als Gareth von seinem Treffen mit Mr. Watson zurückkehrte. Der Butler schien überrascht über Gareth’ Auftauchen zu sein.
»Ist die Duchess heute Vormittag schon gesehen worden?« Gareth warf einen kurzen Blick auf die ordentlichen Stapel von Briefen, die der Butler auf dem grünen Überzug seines Schreibtisches aufgeschichtet hatte.
»Nein, Euer Gnaden«, erwiderte Coggins. »Soweit ich weiß, nicht. Aber ihre Zofe ist vor ungefähr einer Viertelstunde aus dem Haus gegangen.«
Nachdenklich tippte Gareth mit dem Finger auf einen der Briefe. Er kam aus London und war an Antonia adressiert. »Hat die Duchess viele Bekannte in London, Coggins?«, fragte er.
»Ich glaube, früher war das schon der Fall, Euer Gnaden.«
»Bekannte, die sie durch meinen verstorbenen Cousin kennengelernt hat?«
Coggins zögerte. »Die Freunde Eurer Gnaden waren überwiegend Landedelleute«, erwiderte der Butler. »Er und die Duchess besaßen nur wenige gemeinsame Bekannte.«
»Aha«, sagte Gareth.
Der Butler erbarmte sich seiner. »Ich glaube, der Bruder der Duchess wohnt in London, Euer Gnaden. Er ist ein sehr unternehmungslustiger Bursche und wohlgelitten in gewissen Kreisen, wie ich gehört habe.«
»Beim Spielen und beim Pferderennen, was?«, bemerkte Gareth ein wenig zynisch.
Coggins lächelte. »Ich glaube, er hat einen Hang zu beidem, ja«, bestätigte er. »Vor ihrer Heirat mit dem verstorbenen Duke verkehrte die Duchess mit vielen seiner Freunde. Einige dieser Gentlemen haben es bereits auf sich
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