Verloren in deiner Sehnsucht: Roman (German Edition)
und schlug sich die Hände vor das Gesicht. »Oh, Gabriel!«, schluchzte sie. »Ich bin eine so schlechte Person. Herzlos und boshaft! Ich wünschte nur, ich wäre anders.«
Er wandte sich auf der Bank ihr zu. »Aber Antonia, das ist nicht wahr, was du da sagst.« Als er ihr die Hände vom Gesicht zog, sah er die beiden Narben: zwei dünne, helle Linien an den Innenseiten ihrer Handgelenke, brutal in ihrer Präzision. Guter Gott! Warum hatte er sie bis jetzt nicht bemerkt?
Einen Moment lang stockte ihm der Atem, aber er zwang sich, den Blick zu heben. »Sieh mich an, Antonia«, befahl er. »Du bist nicht schlecht oder boshaft. Was hat Lord Swinburne geschrieben, dass es dich so aufregt?«
Sie sah ihn resigniert an und schien vor seinen Augen in sich zusammenzufallen. »Sie ... sie ... wird ... Sie bekommt ... ein Kind«, sagte Antonia stockend und unter Tränen. »Sie wird ein Kind bekommen, und ich hasse sie dafür. Ich hasse sie, Gareth! Hörst du? Jetzt habe ich es ausgesprochen. Sie wird ein Kind bekommen, und Papa möchte, dass ich sie besuche, um die Geburt mit ihnen zu feiern. Aber ich habe nicht genug Vertrauen in mich ...«
Gareth hielt jetzt ihre beiden Hände. »Ich bin überzeugt, dass dein Vater es gut meint«, sagte er und hoffte, dass das der Wahrheit entsprach.
Antonia ließ den Kopf hängen. Der Wind spielte mit den weichen Locken ihres Haars an den Schläfen und in ihrem Nacken. Sie trug ein dunkelblaues Kleid, was das hellere Blau ihrer Augen und das Blassrosa ihrer Wangen betonte. Was, um Himmels willen, hatte sie nur dazu getrieben, sich selbst zu verletzen? Ihre tote Tochter? Der untreue Ehemann? Er fühlte, wie ihn eine Woge von Mitleid überrollte – und doch war das Gefühl vermischt mit Furcht und Zorn. Zorn auf sie, und Zorn auf das Schicksal.
Gareth legte einen Finger unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht. »Was hat dein Vater noch geschrieben?«, fragte er. »Warum habe ich das Gefühl, dass da noch mehr ist? Sag es mir, Antonia.«
Ihr Blick verhärtete sich auf eine für sie uncharakteristische Weise. »Er wünscht, dass ich ihm versichere, dass ich ›meine Figur und mein Aussehen bewahrt habe‹. Er benutzt genau diese Worte«, sagte sie. »Papa sagt, es sei der schlechteste Weg, diesen scheußlichen Gerüchten entgegenzutreten, wenn ich mich auf dem Land verstecke. Er besteht darauf, dass ich ihn zu gesellschaftlichen Anlässen begleite, während Lydia sich erholt. Ansonsten würden die Leute in ihrer Meinung bestärkt werden, dass ich verrückt bin. Gareth, er schreibt ... er schreibt, dass es Zeit für mich ist, wieder zu heiraten.«
Gareth schwieg eine Weile. Er fühlte sich, als hätte ihm jemand in den Magen getreten. Er war sich unsicher, ob er nicht in dem einen oder anderen Punkt Lord Swinburne sogar zustimmte. Waren Antonias Wunden nicht mehr so tief und die Spekulationen über den Tod seines Cousins verstummt, dann sollte sie ganz gewiss wieder heiraten. Aber sie der Gesellschaft vorzuführen, wenn sie so offensichtlich noch nicht bereit dazu war? Konnte man Swinburne überhaupt vertrauen? Würde er Antonia die Zeit geben, die sie brauchte, um den richtigen Mann zu finden? Die Überlegung gefiel Gareth ganz und gar nicht.
»Antonia«, sagte er schließlich, »ist es dein Wunsch, jetzt wieder zu heiraten?« Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, während er auf ihre Antwort wartete.
Endlich schüttelte sie den Kopf. »Nein, und ich möchte auch nicht nach London zurückkehren. Auf gar keinen Fall.«
Gareth war erleichtert, aber auch betroffen über die Heftigkeit ihrer Antwort. »Vor einigen Tagen hast du noch zu mir gesagt, du wärst stark«, sagte er ruhig. »Dass ich niemals deine Stärke unterschätzen sollte. Ich denke, dein Vater hat das in diesem Brief getan. Er hat deine Stärke unterschätzt. Du solltest ihm mitteilen, dass du nicht heiraten möchtest, und standhaft bleiben. Du musst ihm klarmachen, dass du dich nie wieder von ihm einschüchtern lassen wirst.«
»Es ist nicht so einfach, wie du dir das denkst, Gabriel.« Ihre Stimme war jetzt leise, aber gefasster. »Papa wollte mir meistens helfen. Er und mein Bruder sind die einzige Familie, die ich habe.«
»Auch das ist nicht wahr.« Er wusste, er würde die Leidenschaft, die in seinen Worten lag, noch bedauern. »Du bist auch Teil dieser Familie. Du bist eine Ventnor, bis du wieder heiratest oder stirbst. Dein Vater hat auf Selsdon keine Macht über dich.«
»Nein, du bist der einzige Ventnor, den es
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