Verloren in deiner Sehnsucht: Roman (German Edition)
Ansichten. Ihr Vater und ihr Bruder würden niemals den Enkel eines jüdischen Geldverleihers in ihrer blaublütigen Dynastie willkommen heißen – erst recht nicht, wenn sie über sein früheres Leben Bescheid wüssten –, selbst wenn Antonia ihn wollte.
Aber war Antonia überhaupt in der Lage, klar durchdachte Entscheidungen zu treffen? Ihr gesamtes Erwachsenenleben, seit sie siebzehn war, hatte sie entweder in einer unglücklichen Ehe oder dem moralischen Gegenstück von Bedlam verbracht. Man hatte ihr weder das kleinste Maß an Selbstständigkeit noch eigene Entscheidungen gestattet. Wenn sie jetzt frei war, ihr eigenes Leben zu leben – wenn erst die schrecklichen Gerüchte über den Tod des Dukes verstummt waren –, und sie über das nötige Geld und das Selbstvertrauen verfügte, würde sie reisen, in der Gesellschaft verkehren und das tun, was immer sie wollte. Warum, um alles in der Welt, sollte sie also gerade ihn haben wollen? Vielleicht für die Leidenschaft? Wenn er auch für nichts anderes zu gebrauchen war, so gab es doch immer noch den Sex.
Abrupt stand er auf und bot ihr die Hand. »Die Wasserrohre von der neuen Quelleneinfassung werden bis in die Küche verlegt«, sagte er. »Vielleicht könnte man ja auch das Obergeschoss mit Wasser versorgen? Wir sollten hinreiten und uns die Fortschritte ansehen, was meinst du?«
Ihr Blick war in die Ferne gerichtet. Sie legte die Hand in seine. »Ja«, sagte sie mechanisch, »lass uns auf jeden Fall hinreiten.«
Kapitel 13
D ie Indianer hockten im Schneidersitz im Pavillon, spitzten ihre Pfeile und warteten auf den Angriff der Amerikaner. Große Feder schnitzte Kerben in die Enden eines dünnen Zweiges, bog ihn leicht und betrachtete zufrieden sein Werk. »Der ist gut«, sagte er. »He, Cyril, gib mir die Schnur.«
Cyril schaute finster von seiner eigenen Schnitzarbeit auf. »Du musst mich Brummender Bär nennen«, erinnerte er Gabriel, »oder es zählt nicht.«
»Gib mir einfach nur die Schnur«, entgegnete Gabriel ein wenig genervt. »Ich will meinen Bogen bespannen.«
Cyril beugte sich mit der Schnur in der Hand vor und zuckte plötzlich zusammen. »Ich muss mal pinkeln.«
»Ich auch«, sagte Gabriel und folgte ihm zum Rand des Pavillons, »aber Mr. Needles sagt, dass du statt ›pinkeln‹ ›Wasser lassen‹ sagen sollst.«
»Das ist nur was für kleine Kinder«, entgegnete Cyril verächtlich und knöpfte seine Hose auf. »Ich jedenfalls muss pinkeln .«
»Lass uns auf den Baum da zielen«, schlug Gabriel vor, und gemeinsam wässerten sie den Baum mit einer beträchtlichen Menge Flüssigkeit.
»Ich hab gewonnen«, sagte Cyril und schüttelte die letzten Tropfen fort.
»Hast du nicht!«, protestierte Gabriel. »Wenn überhaupt, dann steht es unentschieden.«
»Warte«, sagte Cyril und schaute auf Gabriels Hosen. »Hol ihn noch mal raus.«
Gabriel sah ihn fragend an. »Wen soll ich rausholen?«
»Deinen Penis, du Blödmann«, sagte Cyril und zog seinen aus dem Hosenschlitz hervor. »Hier, ich zeig dir auch meinen.«
»Na gut.« Widerstrebend kam Gabriel der Aufforderung nach.
Cyril beugte sich über den Penis und betrachtete ihn. »Er sieht genauso aus wie meiner«, stellte er fest und runzelte die Stirn. »Vielleicht ein wenig länger.«
»Natürlich sieht er aus wie deiner«, sagte Gabriel. »Cyril, du bist ein Blödmann. Alle Penisse sehen gleich aus.«
»Nein, tun sie nicht.« Cyril richtete sich auf und verstaute seinen wieder in der Hose. »Ich habe die Hausmädchen reden gehört. Maisie hat gesagt, wenn du ein Jude bist, dann muss er dir abgeschnitten werden.«
»Waaaas?«, sagte Gabriel. »Aber Cyril, das ist ja widerlich!«
Cyril grinste und versetzte Gabriel einen leichten Schlag auf den Hinterkopf. »Aber vermutlich bist du davon verschont geblieben – weil du nur zur Hälfte Jude bist«, zog er ihn auf. »He, ich weiß was! Vielleicht sollten wir deinen Indianernamen von Große Feder in Großer Schwanz umändern!«
Coggins empfing Gareth am Fuß der Freitreppe, kaum dass dieser von Knollwood nach Selsdon zurückgekehrt war. Die dunklen Wolken schienen schwärzer geworden zu sein – nicht nur am Horizont, sondern auch über dem Haus. Das Gesicht des Butlers wirkte leicht verdrießlich, seine Hände hatte er übereinandergelegt, als müsste er gegen den Drang ankämpfen, sie zu ringen.
Gareth übergab Statton die Zügel, der herbeigelaufen war, um ihnen die Pferde abzunehmen, und hob dann Antonia aus dem Sattel.
»Die
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