Verloren in deiner Sehnsucht: Roman (German Edition)
würde. Er hat mich nicht in eine Offiziersausbildung gegeben, sondern ihnen gesagt, sie sollten mich loswerden – wie auch immer. Dann hat er ihnen fünfzig Pfund Schmiergeld gegeben, um den Handel zu besiegeln. Warneham wollte, dass ich sterbe, hatte aber nicht den Mumm, mich eigenhändig umzubringen.«
Antonia presste die Fingerspitzen auf ihre Lippen. Sie stand kurz davor, in Tränen auszubrechen. »Aber ... aber das war gewissenlos!«
»Antonia, ihrer Abstammung entsprechend erzogene Jungen werden nicht einfach so Fähnrich in der Königlichen Marine. Die Familie muss um die Erlaubnis dazu ersuchen. Es bedarf Beziehungen, und wenn man die nicht hat, falls niemand von zumindest ein wenig Einfluss für dich bürgt, dann wird das nicht geschehen. Wenn Warneham sich selbst hat glauben machen wollen, ich wäre irgendwie in dieser Welt gelandet, dann wollte er damit einfach nur sein schlechtes Gewissen beruhigen.«
»Ich ... Ich fange an, mich zu fragen, was er überhaupt wollte«, sagte sie. »Und was ... ist mir dir geschehen, nachdem die Navy dich nicht nahm?«
»Die Werber haben mich gegen ein Fass Portwein eingetauscht.«
» Dich eingetauscht?«
»Ich kam auf ein von Freibeutern erobertes Handelsschiff, das nach Marseille auslaufen sollte. Eigentlich war die Besatzung nur einen kleinen Schritt weit davon entfernt, gewöhnliche Piraten zu sein – und Verräter noch dazu.«
»Mein Gott!«, sagte Antonia erschrocken. »Meinst du, Warneham hat gewusst, was passieren würde?«
Gareth war sich verdammt sicher, dass Warneham es gewusst hatte, schwieg aber. Stattdessen stützte er einen Fuß gegen die Balustrade und biss sich auf die Zunge.
»Wie ging es weiter?«, fragte Antonia. »Hattest du Angst?«
»Zuerst nur vor dem Wasser«, sagte er. »Mein Magen begann schon zu brennen, wenn ich nur das Deck überquerte. Aber die Leute? Nun, ich wollte einfach nur zu meiner Großmutter zurück. Ich war viel zu naiv, um Angst zu haben. Ich habe dem Kapitän immer wieder gesagt, wer ich war. Auch, wer mein Vater gewesen ist und dass es sich um ein Missverständnis handeln muss. Er fand mich zum Brüllen komisch. Mein inständiges Flehen hat die Crew bis Guernsey unterhalten.«
»Wie ... wie hast du überlebt?«
»Ich habe getan, was immer ich tun musste, um zu überleben«, erwiderte er grimmig. »Als wir die Bretagne umsegelten, hatte ich gelernt, meinen Mund zu halten und das zu tun, was man mir auftrug. Ich war zwölf Jahre alt und hatte Angst.«
»Haben sie dich ... gefangen gehalten?«
»Mitten auf dem Ozean?« In seinen Augen lag ein seltsamer Ausdruck, als er Antonia ansah. »Das brauchten sie nicht. Ich musste arbeiten. Sie waren allesamt Verräter. Algerische Korsaren. Sizilianische Piraten. Zum Großteil der Abschaum Europas – die meisten von ihnen waren mit einem gefälschten Kaperbrief der britischen Regierung unterwegs. Sie hätten mit Wonne ihre eigenen Brüder umgebracht, und ich war ihr Sklave. Ihr Schiffsjunge. Hast du eine Ahnung, was das bedeutet?«
Sie schüttelte den Kopf. »Du musstest ... Pflichten erfüllen?«
Und einiges mehr , wollte er sagen, schwieg aber. Antonia war so behütet und beschützt aufgewachsen. Sie würde nicht einmal ansatzweise nachvollziehen können, wie sein Leben auf der Saint-Nazaire gewesen war – und er wollte es auch gar nicht. Antonia hatte genug eigenen Schrecken erlebt. Und was ihn betraf, könnte er die Demütigung nicht ertragen, die damaligen Geschehnisse zu beschreiben. Könnte es nicht ertragen, dieses krankmachende Gefühl der Ohnmacht noch einmal zu durchleben.
Antonia hatte ein wenig von ihrer neu gewonnenen Gesichtsfarbe verloren. »Wohin haben sie dich gebracht, Gabriel?«
»Amerika hatte England gerade erst den Krieg erklärt«, sagte er grimmig. »Man rechnete mit einem Blutbad, in der Karibik gab es so viele Freibeuter wie Haie im Wasser. Es gab genug Möglichkeiten für jeden, dem der Sinn danach stand.«
»Wie lange warst du auf diesem ... diesem Piratenschiff?«, fragte sie mit schwacher Stimme. »Und wie bist du entkommen?«
»Etwas länger als ein Jahr bin ich mit ihnen gesegelt. Jedes Mal, wenn wir irgendwo anlegten, dachte ich daran, die Flucht zu wagen, aber oft waren diese Orte so fremd, dass sie mir Angst machten. Die Sprache der Leute dort verstand ich auch nicht und hatte zudem kein Geld. Auf der Saint-Nazaire bekam ich zumindest etwas zu essen, und mir konnte nichts passieren – jedenfalls nicht das, was an Land auf mich
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